Hans-Heinrich Dieter

Abschreckung durch die NATO   (05.02.2015)

 

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges will die NATO ihre Eingreiftruppe auf rund 30.000 Soldaten erweitern und logistische Stützpunkte im Baltikum und Osteuropa aufbauen - vor allem als Abschreckung gegen Russland. NATO-Generalsekretär Stoltenberg betonte ausdrücklich bei der NATO-Verteidigungsminister-Tagung in Brüssel, dass dies eine Antwort auf das Verhalten Russlands im Ukraine-Konflikt sei. Deutschland hat der NATO etwa 2700 Soldaten für die Testphase der neuen superschnellen Eingreiftruppe zugesagt, die innerhalb weniger Tage zum Beispiel in die Bündnisstaaten im Baltikum, Litauen, Lettland und Estland, verlegt werden kann. Die NATO hat verstanden, dass Neu-Russland den Westen als Gegner in einem neuen Kalten Krieg betrachtet, ganz bewusst die Neutralität der Ukraine verletzt hat und weiter bedroht. Die NATO weiß, dass Putin die prorussischen Separatisten und Terroristen in der Ostukraine mit modernem Kriegsgerät sowie personell und logistisch in starkem Maße unterstützt und so die Geländegewinne der Separatisten in Richtung Krim möglich macht. Die NATO beurteilt die Lage richtig, wenn sie davon ausgeht, dass Putin diese Aggression gegen die Ukraine so lange fortsetzt, bis er sein Ziel - die Spaltung der Ukraine - erreicht hat oder militärisch oder wirtschaftlich dazu gezwungen wird, die Aggression zu beenden und vertrauenswürdig an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die NATO hat angesichts der ständigen Provokationen Russlands das Vertrauen in den ehemaligen Partner Russland gründlich verloren und nimmt die baltischen Bündnispartner und Polen ernst, die sich angesichts der russischen Interventionspolitik in der Ukraine stark bedroht fühlen. Die NATO macht Realpolitik und Deutschland ist mit im Boot.

Thema beim NATO-Verteidigungsminister-Treffen sind sicher auch mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Ministerin von der Leyen warnte vor dem NATO-Treffen eindringlich vor Waffenlieferungen und auch Präsident Obama lehnt derartige militärische Unterstützung bisher ab. Allerdings führt US-Außenminister Kerry zurzeit in Kiew mit Poroschenko, Jazenjuk und seinem Kollegen Klimkin Gespräche und da wird das Thema Waffenlieferungen nicht ausgeklammert werden, insbesondere weil die Kämpfe in der Ostukraine ständig zunehmen und die Lage der regulären und legitimen ukrainischen Streitkräfte sich unter dem Druck der bestens mit russischer Militärtechnik ausgestatteten Separatisten stündlich verschlechtert. Die Zeit drängt offenbar, denn die Ukraine hat vernachlässigte, relativ desolate und wenig schlagkräftige Streitkräfte. Wenn die Ukraine sich erfolgreich gegen die von Russland massiv unterstützten Separatisten verteidigen können und verhindern will, dass zum Beispiel ein von den Separatisten kontrollierter Land-Korridor in Richtung Krim vorwärts getrieben wird, dann wird das ohne kurzfristige Waffenlieferungen nicht gehen. Die USA sind die Weltmacht, die die souveräne Ukraine mit Waffenlieferungen, Beratung und Ausbildung militärisch unterstützen und so der Ukraine zu einer Gegnerschaft auf Augenhöhe mit Russland verhelfen und eine glaubhafte Abschreckung aufbauen können, ohne als stärkste Nuklearmacht der Welt von der zweitstärksten Nuklearmacht Russland militärisch unter Druck gesetzt werden zu können. Deswegen sind die USA auch die einzigen, die der Ukraine schnell zu einer angemessenen Verteidigungsfähigkeit verhelfen können. Diese Möglichkeit der Abschreckung sollte der Westen nicht gutgläubig aus der Hand geben.

Während des NATO-Minister-Treffens tagt nach langer Zeit auch die Nukleare Planungsgruppe. Dieses geheime Gremium tagt sicher nicht ohne Grund. Führende russische Militärs haben versucht, das Recht auf einen russischen nuklearen Präventivschlag in der neuen Militärdokrtrin zu verankern, haben sich allerdings noch nicht durchgesetzt. Russlands Chefpropagandist Kiseljow hat kürzlich in einer der wöchentlichen Propagandasendungen im Staatssender "Rossija" gesagt: "Russland ist das einzige Land der Welt, das in der Lage ist, die USA in radioaktiven Staub zu verwandeln." Vor wenigen Monaten wurden in Moskau in großer Zahl T-Shirts mit dem Aufdruck einer TOPOL, die russische Interkontinentalrakete mit Nuklearsprengkopf, und der Aufschrift: "Eine TOPOL hat keine Angst vor Sanktionen" verteilt. Wohl eher eine innenpolitisch orientierte Kampagne, aber immerhin. Bei den sehr häufigen russischen Provokationen von NATO-Luftraum, die im Jahr 2014 NATO-Luftstreitkräfte etwa 400 mal zu Abwehraktionen zwangen, waren häufig nuklear-fähige Bomber beteiligt. Und an den Grenzen Russlands werden konventionelle und atomare Waffen verstärkt werden. Diese Entwicklung kann das westliche Verteidigungsbündnis nicht einfach tatenlos übersehen.

Der Aggressor gegen die Ukraine ist Russland, der Kriegstreiber ist Putin, die Provokateure gegen NATO-Territorium sind russische Militärs. Das westliche Verteidigungsbündnis muss daher alle Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind unsere Werte zu verteidigen, den Aggressor vor weiteren Aggressionen abzuschrecken und notfalls NATO-Territorium auf der Grundlage des NATO-Vertrages zu verteidigen.

Alle militärischen Maßnahmen müssen sorgfältig überlegt und mit politischen Maßnahmen abgestimmt sein. Die NATO versucht glaubwürdig abzuschrecken. Die USA und die EU haben abgestuft Sanktionen gegen Russland verhängt und sollten dringend über eine Verschärfung der Sanktionen entscheiden. Die USA sollten ernsthaft und sehr schnell über die dringend erforderlichen Waffenlieferungen an die Ukraine entscheiden. Und wenn Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande morgen nach Kiew und dann zu Präsident Putin reisen, dann kann man nur hoffen, dass Putin zur Vernunft kommt und so an den Verhandlungstisch zurückgebracht wird, dass das für Fortschritte in Richtung Frieden so wichtige Vertrauen wieder aufgebaut werden kann. Skepsis ist berechtigt, denn noch fühlt sich Putin offenbar auf der Erfolgsspur, weil seiner Aggression bisher nicht nachhaltig genug begegnet wird. Es wird interessant sein, zu welchen Ergebnissen die Diskussionen der internationalen Fachleute auf der Münchner Sicherheitskonferenz führen.

(05.02.2015)

 

 

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