Hans-Heinrich Dieter

2031 einsatzfähig?   (17.09.2018)

 

Nach dem Weißbuch von 2016 und der Veröffentlichung der Konzeption der Bundeswehr hat der Generalinspekteur am 03.09.2018 das „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ herausgegeben, in dem aufgezeigt wird, wie die Bundeswehr konkret bis 2031 einsatzfähig gemacht werden soll. Das Planungsdokument orientiert sich dabei an den NATO-Planungszielen. Auf der Grundlage des Fähigkeitsprofils soll eine einsatzbereite, bündnisfähige und flexible Bundeswehr entwickelt und bereitgestellt werden, die in einem veränderlichen Sicherheitsumfeld Fähigkeiten zur gleichrangigen Wahrnehmung aller Aufgaben zum Schutze Deutschlands besitzt. Dabei ist der neue Schwerpunkt die Landes- und Bündnisverteidigung. Es ist gut, dass es nun mit den Planungsdokumenten konkrete Vorstellungen und einen verlässlichen „Maßstab für die Beschaffung und den Materialerhalt dringend benötigter Ausrüstung“ gibt (MdB Otte). Jetzt muss der Plan finanziert und in die Tat umgesetzt werden!

Angesichts des desolaten Einsatzfähigkeitsstandes der Bundeswehr wird die erneute Entwicklung der vollen Einsatzfähigkeit der Streitkräfte bis 2031 viel Geld und gegebenenfalls viel Zeit darüber hinaus kosten. Das Ministerium kalkuliert, dass die Verteidigungsausgaben bis 2023 auf jährlich 60 Milliarden Euro steigen müssten. Das entspräche 1,5 Prozent am Brutto-Inlandsprodukt. Bis 2023 soll allerdings für das Heer lediglich die erste komplett eigenständige Brigade, die sich also keine Ausrüstung mehr zusammenleihen muss, als Speerspitze der NATO-Einsatztruppe verfügbar sein. Das ist noch nicht viel! Das Hauptproblem ist allerdings, dass die mittelfristige Finanzplanung, die vom Ministerium kalkulierten und erforderlichen Steigerungen des Wehretats bisher in höchst unzureichender Weise abbildet. Und die SPD ist bisher nicht bereit, die von ihr als „Aufrüstung“ oder auch als „Unterwerfung unter die Militarisierung der Außenpolitik durch Donald Trump“ verleumdete Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu finanzieren.

Das liegt auch daran, dass Frau von der Leyen bei den Koalitionsverhandlungen die Belange der Bundeswehr nur sehr unzureichend vertreten und eingebracht hat. Außerdem war es ein Fehler, dass das „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ lediglich vom Bundeskabinett verabschiedet und nicht vom Parlament eingehend sowie öffentlich diskutiert und im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle der Regierung zumindest gebilligt wurde. Außerdem hätte die Konzeption der Bundeswehr als „höchstes konzeptionelles Dokument der Bundeswehr“ vom Kabinett gebilligt und von der Kanzlerin erlassen werden sollen, um die Regierung ressortübergreifend bei zukunftsorientierten, vernetzten, sicherheitspolitischen Entscheidungen in der Pflicht zu halten. Und auch das „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ – ein internes Planungsdokument – wurde am 03. September dem Verteidigungsausschuss des Bundestages ohne vorherige Diskussion lediglich zur Kenntnis gegeben. Hier wurden Chancen vertan, die Öffentlichkeit in die ohnehin bisher unzureichende sicherheitspolitische Diskussion einzubinden und das teilweise unfreundliche Desinteresse der Bevölkerung an den Staatsbürgern in Uniform abzubauen. Da ist es gut, dass der neue Generalinspekteur, General Zorn, sich stärker in die öffentliche sicherheitspolitische Debatte einbringen will und das auch von seinen nachgeordneten Kommandeuren – jeder in seinem Bereich – erwartet. Da bleibt zu hoffen, dass Frau von der Leyen solche öffentlichen Stellungnahmen und Diskussionsbeiträge von Soldaten überhaupt zulässt!

Das allgemeine Desinteresse und der bei vielen Politikern – allen voran bei Kanzlerin Merkel – nachgeordnete Stellenwert von Sicherheitspolitik führte dazu, dass das Bundeskabinett mit dem Eckwerte-Beschluss für den Haushalt des Jahres 2019 den Verteidigungsetat zwar um knapp vier Milliarden auf 42,9 Milliarden Euro angehoben hat, dieser Eckwert aber unter dem errechneten Finanzbedarf der Bundeswehr von 43,7 Milliarden Euro für 2019 (entspricht 1,31 % BIP) liegt. Und im Jahr 2022 stehen einem errechneten Finanzierungsbedarf der Bundeswehr von 52 Milliarden Euro laut Eckwertebeschluss lediglich 42,68 zur Verfügung. Da kann man nur hoffen, dass die aktuellen Haushaltsberatungen den Eckwertebeschluss des Bundeskabinetts zugunsten der Entwicklung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sehr deutlich und im Sinne des neuen Fähigkeitsprofils korrigieren.

Darüber hinaus hat die Bundeswehr noch mit einem anderen Phänomen zu kämpfen. Ein Sprichwort besagt: Wer nicht mehr weiterweiß, gründet einen Arbeitskreis – und es gibt in Deutschland und insbesondere in der deutschen Politik viele Arbeitskreise. Und für die Bundeswehr scheint zu gelten: Und wird der Problemdruck ganz enorm, mach´ eine Strukturreform! Es wäre mal eine Untersuchung wert, mit wie vielen Strukturreformen die Bundeswehr nach der Wiedervereinigung belastet wurde und welchen Erfolg die jeweilige Struktur im Hinblick auf die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte hatte. Eine Kurzbilanz ist negativ.

In die Amtszeit von Gerhard Stoltenberg (1989-92) fällt die deutsche Einheit und die Ãœbernahme von Teilen der NVA in die Bundeswehr. Das Entstehen gesamtdeutscher Streitkräfte war vergleichsweise erfolgreich. Während der Amtszeit von Volker Rühe (1992-98) fühlte sich Deutschland mehr und mehr nur von Freunden umgeben. Die Bundeswehr wurde mehr und mehr im Ausland eingesetzt. Die Landes- und Bündnisverteidigung verlor an Bedeutung und damit setzte auch die permanente Unterfinanzierung der Bundeswehr ein. Rudolf Scharping (1998-2002) hat eine neuerliche Strukturreform mit teuren Privatisierungen in die Wege geleitet, die letztendlich gescheitert ist. Peter Struck (2002-05) wollte nie Verteidigungsminister werden, hat sich für die Bundeswehr nie so richtig interessiert und auch deswegen hat er nichts bewegt und auch nichts gegen die Unterfinanzierung unternommen. Franz Josef Jung (2005-09) war eindeutig der unfähigste Verteidigungsminister der gesamtdeutschen Streitkräfte, er ist nicht der Rede wert, über den Status eines „sicherheitspolitischen Lehrbubs“ nie hinausgekommen und hat so für die Bundeswehr nichts Positives geleistet. Karl-Theodor zu Guttenberg (2009-11) hat mit dem überhasteten sowie nicht organisierten Ausstieg aus der Wehrpflicht der Bundeswehr einen Bärendienst erwiesen und sich um die Streitkräfte wirklich nicht verdient gemacht. Thomas de Maizière (2011-13) - genannt die Büroklammer - hat eine schlecht geplante und unzureichend organisierte „Neuausrichtung der Bundeswehr“ zu verantworten, unter der die gleichzeitig permanent unterfinanzierten Streitkräfte noch heute leiden, er war ein glück- und erfolgloser Minister und seine „Neuausrichtung“ muss noch heute ständig nachgesteuert werden. Ursula von der Leyen (seit 2013) schließlich reiht sich in die Riege erfolgloser Verteidigungsminister ein, denn auch sie hat bisher die Unterfinanzierung der Bundeswehr nicht hinreichend ausgleichen können, die Personalnot ist nicht beseitigt, die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte ist durch unzureichende Bewaffnung und Ausrüstung unverändert stark eingeschränkt und das schlechte Rüstungsmanagement hat unter ihrer politischen Leitung - anders als vollmundig angekündigt - noch keine wirklichen Fortschritte gemacht. Die Bundeswehr ist aufgrund der permanenten Unterfinanzierung seit der Wiedervereinigung, die alle Kanzler*innen, Verteidigungsminister und Parlamentarier mit zu verantworten haben, unverändert ein „Sanierungsfall“! So gesehen bräuchte die Bundeswehr eine leistungsstärkere politische Leitung, um bei der geplanten Wiederherstellung ihrer Einsatzfähigkeit Aussicht auf Erfolg zu haben.

Nach einer neuen politischen Leitung sieht es nicht aus und der Problemdruck ist tatsächlich ganz enorm, also machen wir erneut eine Strukturreform. Denn die neuen Streitkräfte sollen nicht mehr in Teilstreitkräfte, Heer, Luftwaffe und Marine, und Organisationsbereiche, Streitkräftebasis, Sanitätsdienst und Cyber- und Informationsraum, gegliedert sein, sondern in zwölf „Systemverbunde“. Das erfordert Strukturänderungen, die immer zusätzliche Kraft kosten. Und Deutschland hat sich verpflichtet, der NATO für die Bündnisverteidigung bis etwa 2031 „drei vollständige, komplett ausgerüstete Heeresdivisionen zur Verfügung stellen zu können.“ Das „Fähigkeitsprofil“ hingegen spricht von drei vollständigen Divisionsstäben und mindestens acht Brigaden, die bis 2031 den Umfang des Heeres bilden sollen. Da müssen dann andere Systemverbunde stark aushelfen, um bei Bedarf „drei vollständige, komplett ausgerüstete Heeresdivisionen“ einsatzbereit verfügbar zu haben. Das klingt nach „dynamischem Verfügbarkeitsmanagement auf Streitkräfteebene“. Damit hatte das „neuausgerichtete“ Heer ganz schlechte Erfahrungen gemacht! Aber aufgrund dieser Erfahrungen kann ja alles auch besser gestaltet werden!

Dabei ist es grundlegend wichtig, dass die Umsetzung dieser Planungen unverzüglich auf der verlässlichen Grundlage solider und hinreichender Finanzierung begonnen werden und das für die neue Struktur erforderliche Personal in der richtigen Qualität gewonnen werden kann. Positive Entscheidungen zur Finanzplanung bleiben abzuwarten und von der Leyen hat in vielerlei Hinsicht die Attraktivität der Bundeswehr negativ beeinflusst. Die Rahmenbedingungen sind also schlecht und wenn die Bundeswehr tatsächlich bis 2031 einsatzbereit sein soll, muss sich in Deutschland eine Menge ändern!

In der Bundesrepublik gibt es immer noch keine allgemeine und öffentliche Verständigung darüber, was Deutschland bereit ist, außen- und sicherheitspolitisch sowie daraus folgernd militärisch zu leisten. Die globale sicherheitspolitische Lage – und damit auch das sicherheitspolitische Umfeld Deutschlands - hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Die Grundzüge deutscher Sicherheitspolitik sind davon unberührt. Deutschland fährt weiter ohne definierte nationale Interessen, ohne ein Konzept vernetzter Sicherheitspolitik und ohne formulierte Strategien für die Beteiligung an Auslandseinsätzen auf Sicht und will dabei sein und mitmachen – allerdings möglichst ohne Einsatz von Waffen! Dabei hatten maßgebliche deutsche Politiker bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 proklamiert, Deutschland müsse sich heute „früher, entschiedener und substanzieller“ einbringen, um die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten und zu formen, also „Mehr internationale Verantwortung übernehmen“! Verbal können wir das, für die Umsetzung in wirksamere und handlungsfähigere Sicherheitspolitik fehlt unseren Politikern aber der Wille und die Kraft. Die Kanzlerin hat bemerkenswert richtig gesagt, dass „die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten“, ein „Stück weit“ vorbei sind und „wir Europäer unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen“ müssen. Jetzt müsste die Kanzlerin der deutschen Öffentlichkeit auch deutlich machen, was das denn sicherheits- und verteidigungspolitisch tatsächlich bedeutet – insbesondere, weil die Bundeswehr heute die an sie gestellten Ansprüche nicht erfüllen kann und Deutschland seinen Verpflichtungen gemäß NATO-Vertrag derzeit nicht genügt. Es muss Schluss gemacht werden mit der Trittbrettfahrerei!

Deutschland muss das Maß an Verantwortung für die internationale Sicherheit übernehmen, das seiner Rolle als größtem und wirtschaftlich stärkstem Land in Europa entspricht. Und die deutschen Bürger müssen davon überzeugt werden, dass sich diese Investition in unsere Sicherheit und in unsere Vertrauenswürdigkeit als NATO- und EU-Partner lohnt!

(17.09.2018)

 

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