Hans-Heinrich Dieter

Zahlen und Zeitpunkte (27.12.2010)

 

Die Zeit um Weihnachten und zwischen den Jahren ist politisch eine schwierige Zeit. Die Medien arbeiten stark reduziert und wie ein Hinterbänkler nutzt der Fraktionsvorsitzende der SPD die Flaute, um abgegriffene Themen unzureichend aufzuwärmen.

In einem Interview mit der Bild am Sonntag macht Steinmeier gleich mehrere "starke" Aussagen: "Für die Zustimmung der SPD muss der Beginn des Rückzugs im Mandat enthalten sein"; er beklagt, dass Kanzlerin Merkel vom Krieg in Afghanistan gesprochen hat und meint sagen zu müssen: "Die Kanzlerin hechelt mit ihrer Wortwahl dem Verteidigungsminister hinterher!" und bekräftigt, dass die SPD einer Verlängerung des Mandats nur zustimmen will, wenn das Kontingent bereits 2011 verkleinert wird. Und dann stilisiert er auch noch den angeblichen Streit zwischen Außen- und Verteidigungsminister im Hinblick auf Abzugsdaten hoch.

Worum geht es Steinmeier eigentlich. Der erste Fortschrittsbericht einer Bundesregierung seit Beginn des Afghanistanengagements vom 13.12. und die Regierungserklärung des Außenministers vom 16.12.2010 enthalten deutliche Aussagen zu diesem Thema. Der Außenminister ist bereits in der Regierungserklärung der SPD entgegengekommen. Steinmeiers diesbezüglichen Aussagen sind also nur als politischer Erpressungsversuch auf dem Rücken der Soldaten zu verstehen.

Wenn Steinmeier nicht möchte, dass die Kanzlerin vom Krieg in Afghanistan spricht, will er nur das eigene Versagen als Außenminister im Hinblick auf eine realistische Lagebeurteilung in Afghanistan und die dementsprechend wahrheitswidrige Information der Bevölkerung verschleiern. Und wenn Steinmeier den angeblichen Streit zwischen Westerwelle und zu Guttenberg bezüglich des Abzugstermins hochstilisiert, will er nur davon ablenken, dass in der Großen Koalition das Auswärtige Amt die Federführung für den Afghanistaneinsatz überhaupt nicht wahrgenommen hat und eine Zusammenarbeit zwischen ihm und Verteidigungsminister Jung nicht erkennbar war.

Wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD die Weihnachtszeit für eine Analyse des Fortschrittsberichtes genutzt hätte, wäre er vielleicht in der Lage gewesen, sich in der Sache einzulassen, über Zahlen und Zeitpunkte hinaus. Aber dazu fehlt vielen unserer Politiker Interesse, Zeit und mithin Sachverstand. Es ist offenbar auch ein Privileg des Primats der Politik, oberflächlich sein zu dürfen.

Im Fortschrittsbericht heißt es zu einem möglichen Abzugstermin: "Im Zuge der Übergabe der Sicherheitsverantwortung beabsichtigt die Bundesregierung, einzelne nicht mehr benötigte Fähigkeiten - soweit die Lage dies erlaubt - ab Ende 2011/2012 zu reduzieren." Und da ist aus gutem Grund von schrittweiser Reduzierung und nicht von einem quasi automatischen Abzug nach Fahrplan ab einem festgesetzten Datum die Rede. Die Bundesregierung lässt sich hier erfreulicherweise nicht in den sich abzeichnenden internationalen "Abzugsdaten-Wettbewerb" hineinziehen. Damit sollte sich Steinmeier auch in der Opposition verantwortungsbewusst auseinandersetzen.

Denn deutsches Handeln im Rahmen der internationalen Gemeinschaft muss verantwortliches und verantwortbares, am Wohl der afghanischen Bevölkerung - und nicht nur an der Vermeidung von Gesichtsverlust - orientiertes Handeln sein. Der afghanischen Bevölkerung ist nicht durch einen Rückzug unter Einhaltung innenpolitisch bestimmter "Fahrpläne" gedient, sondern nur durch schrittweise Übergabe der Verantwortung in afghanische Hand, wenn die Voraussetzungen dafür wirklich und an definierten Kriterien messbar gegeben sind. Mit der Forderung nach einem festgezurrten Abzugstermin arbeitet Steinmeier einer "Übergabe in Verantwortung" geradezu entgegen.

Denn die Lage auf dem Kriegsschauplatz Afghanistan ist insgesamt trotz erster Fortschritte generell nicht stabil. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus zeigt aber erste Erfolge, die teilweise massiven Angriffe von Spezialkräften gegen Taliban der oberen und mittleren Führungsebene wirken sich aus, im Norden Afghanistans gelingt es deutschen Truppen, zusammen mit Kräften der Afghan National Army, die Initiative durch aktive Bekämpfung der Taliban schrittweise zu gewinnen. Teilweise erfolgreiche offensive Operationen von ISAF gegen die Taliban fördern geradezu die unabdingbare Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft, denn die Taliban wollen nicht unbedingt verlustreich kämpfen, sie wollen zurück an die Macht in Afghanistan, zumindest aber wollen sie an zukünftigen Machtverhältnissen beteiligt werden. Wenn die Taliban ihre Operationsplanung auf Rückzugsdaten und regional orientierte Abzugsfahrpläne der Internationalen Staatengemeinschaft abstützen können, dann brauchen sie nicht zu verhandeln, dann werden sie eigene Operationen ausschließlich gegen "weiche Ziele" führen und ISAF-Operationen möglichst ausweichen, sie werden ihre Kräfte konsolidieren und versuchen, den Rückhalt in der Bevölkerung durch eigene Hilfsprogramme zu stärken, um die Kontrolle über nach Abzugsfahrplan von "Besatzern befreite" Gebiete Zug um Zug nach abgestimmtem Taliban-Fahrplan zu übernehmen. Deswegen muss man mit der Bekanntgabe von Zeitpunkten für den Beginn des Abzuges sehr verantwortlich und an der konkreten Lage orientiert umgehen, auch um die eigene Truppe nicht zu gefährden. Die deutschen Truppen brauchen vielmehr politische Rahmenbedingungen, um auf den letzten militärischen Erfolgen aufbauen zu können, bis hin zu möglicherweise erforderlichen, zeitlich begrenzten Truppenverstärkungen.

Und ob man es politisch will oder nicht, der Tod eines deutschen Entwicklungshelfers in der letzten Woche führt uns erneut vor Augen, dass ohne sichere Rahmenbedingungen auch der zivile Aufbau in Afghanistan nicht gelingen kann. Und von sicheren Rahmenbedingungen für die Übergabe der Verantwortung an afghanische Institutionen kann in den meisten Regionen Afghanistans noch nicht die Rede sein.

Wenn die SPD die Zustimmung zur Fortsetzung des Afghanistaneinsatzes im Januar 2011 von nicht verantwortbaren Zugeständnissen abhängig machen will, dann sollte die christlich-liberale Mehrheit in diesem Falle auf den "Konsens der Demokraten" verzichten und mit der eigenen Mehrheit verantwortbare Afghanistanpolitik machen und diese Politik der Bevölkerung auch abseits von Talk-Shows ehrlich und plausibel erklären.

 

(27.12.2010)

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