Hans-Heinrich Dieter

Putins Kriege   (15.06.2014)

 

Der bei G7 nicht zugelassene Putin nutzt die Gelegenheit und die gewonnene Zeit zu mehreren Interviews, in denen er sich als gesprächsbereiter Friedensfürst präsentiert. Und es kommt auch am Rande des Gipfels und der D-Day-Feierlichkeiten zu kurzen Gesprächen – und die westliche Politik- und Medienwelt atmet auf, sieht Silberstreifen am Horizont und den am stärksten strahlenden Hoffnungsschimmer scheint SPD-Außenminister Steinmeier zu haben, als er erstmalig seit der Annexion der Krim durch Putin wieder zu Gesprächen mit dem russischen Amtskollegen Lawrow und dem polnischen Außenminister Sikorski nach Russland reist.

Nach den angeblich „konstruktiven Gesprächen“ im Dreier-Format kommt das übliche Schaulaufen vor den Medien, das Lawrow zu Ausführungen über die vielfältigen Kooperationen Russlands mit internationalen Organisationen nutzt, die Russen sind halt trotz Krim gut integrierte „Friedensfürsten“. Sikorski ist beruhigt zu hören, „dass Russland nicht beabsichtige, das Vorgehen auf der Krim in der Ostukraine zu wiederholen.“ Das ruft ein wie auch immer zu verstehendes Gelächter Lawrows hervor. Steinmeier sagt übliche Sätze: es gebe „spürbar“ eine Entschärfung der Krise in der Ukraine, „vielleicht ein kleines Licht am Ende des Tunnels“. Zusätzlich regt er ein russisch-ukrainisches „Grenzmanagement“ als vertrauensbildende Maßnahme an. Aber was hat Russland eigentlich tatsächlich zur Entschärfung der Krise beigetragen? Durch welche konkreten russischen Maßnahmen ist der sehr naive oder auch nur diplomatisch zur Schau gestellte Optimismus begründet? Nahezu nichts Positives!

Die Politiker und Medien, die für russische Propaganda empfänglich sind, werden Gründe finden. Realisten erkennen immer deutlicher, dass Putin schon jetzt mehrere Kriege führt.

Erstens führt Putin seit längerem einen Wirtschaftskrieg gegen die Ukraine. Russland nutzt Gas, von dem die ukrainische Wirtschaft stark abhängig ist, seit knapp zehn Jahren durch eskalierende Preise als politisches Kampfmittel, um eine Annäherung der Ukraine an Europa oder die NATO zu unterbinden. In den sog. „Gaskriegen“ 2006 und 2009 kam es zu Lieferstopps, die die Ukraine sehr stark, aber auch Europa betrafen. Jetzt nachdem die Majdan-Revolution eine prowestliche Ãœbergangsregierung in Verantwortung gebracht hat, stieg der Preis für 1.000 Kubikmeter von mit Janukovitsch verhandelten 268,5 Dollar auf 485 Dollar, das ist europäischer Höchstpreis. Außerdem sollen nach der Annexion der Krim die jeweils 100 Dollar Rabatt – früher gedacht als Kompensation für die russische Nutzung des Kriegshafens Sewastopol – entfallen. Dabei steht im russisch-ukrainischen Gasvertrag, dass Kiew den Marktpreis zu bezahlen hat und der liegt ungefähr bei 280 Dollar. Das Verhalten Russlands ist zumindest unethisch oder ehrlicher ausgedrückt verbrecherische Erpressung und kennzeichnet einen neuen „Gaskrieg“ 2014.

Zweitens führt Putin Krieg gegen die Ukraine. Russland hat die Krim als Teil der souveränen Ukraine verdeckt militärisch infiltriert, mit inszenierten und russisch unterstützten „Volksbewegungen“ die Krim destabilisiert und dann völkerrechtswidrig und die Integrität der Ukraine mit militärischen Mitteln verletzend annektiert. Für die Ukraine gehört die Krim weiterhin zu ihrem Staatsgebiet. Russland und die Ukraine befinden sich also in einem derzeit ruhenden Kriegszustand. Wenn schon „erfolgreich“ im Kriegszustand befindlich, scheint er auf diesem Erfolg aufzubauen. Mit 40.000 einsatzbereiten Truppen im russischen Grenzgebiet im Rücken wagt Putin eine weitere verdeckte Invasion nach dem Krim-Muster. In mehreren Städten des Donbass haben professionell agierende Trupps modern und vorwiegend russisch bewaffneter Soldaten ohne Hoheitsabzeichen Verwaltungsgebäude, Polizeistationen, Geheimdienstbüros gestürmt. Russischsprachige maskierte Aktivisten übernehmen dann und gestalten eine neue autonome lokalpolitische Ordnung. Das sind keine friedlichen Demonstranten, das sind von russischen Kadern, Agitatoren und Militärs unterstützte Aktivisten und Söldner, die die Ukraine im Sinne Moskaus destabilisieren sollen. Der verdeckten Invasion wird die Maske des Volksaufstandes übergestülpt und Moskau liefert nicht nur moderne Waffen, sondern ermutigt die Agitatoren und ihre Mitläufer, nicht einzulenken. Die russischen Kader, Söldner, Separatisten schrecken inzwischen auch nicht vor Verbrechen zurück, nehmen Geiseln, foltern und ermorden unliebsame Ukrainer. Putin ist für die Eskalation auf dem Kriegsschauplatz Ost-Ukraine verantwortlich. Sehr im Sinne Moskaus haben die Separatisten Grenzabschnitte unter ihre Kontrolle gebracht und so ist es möglich, nicht nur weitere getarnte russische Soldaten und modern bewaffnete und gut trainierte Söldner nachzuschieben, sondern auch Panzer, Flugabwehrraketen und Raketenwerfer. Inzwischen schießen die „Separatisten“ auch ukrainische Hubschrauber und Transportmaschinen ab und bringen schweres Militärgerät zum Einsatz. Dadurch kann die Ukraine provoziert, der Konflikt angeheizt und die Ukraine weiter destabilisiert werden. Außerdem kann jeglicher Versuch der ukrainischen Streitkräfte, die Integrität der Ukraine zu wahren oder wieder herzustellen, zu Propagandazwecken ausgeschlachtet werden. Dabei setzt die Ukraine ihre Streitkräfte nicht gegen das eigene Volk ein, wie die russische Propaganda gebetsmühlenartig glauben machen will, die Ukraine wehrt eine russische Invasion der Ost-Ukraine mit militärischen Mitteln ab. Offensichtlich herrscht eine Gemengelage von verdecktem und offenem Krieg zwischen Russland und der Ukraine mit Russland als Aggressor.

Drittens führt Putin einen Propagandakrieg gegen die Ukraine und die westliche Welt. Der sowjetisch geprägte russische Propagandaapparat ist bestens geschult und hochprofessionell. Die Soldaten des ehemaligen „Brudervolkes“ Ukraine sind gemäß Propagandatrickkiste durchweg Faschisten. Der Versuch der ukrainischen Streitkräfte, die Souveränität und Integrität der Ukraine unter Anwendung legitimer Staatsgewalt zu wahren oder wiederherzustellen, wird in den Staatsmedien als brutaler menschenverachtender Krieg gegen das eigene Volk - und natürlich hauptsächlich gegen Kinder, Frauen und Alte – dargestellt. Moskau ruft die Ukraine sehr medienwirksam und „mit Nachdruck“ zum Dialog mit den Separatisten auf, wirkt aber selbst nicht friedensstiftend auf die Separatisten ein, mit dem Hinweis, es handele sich um einen „innerukrainischen Konflikt“. Natürlich fordert Putin vehement, dass Kiew mit den unter Strumpfmasken mit Maschinenpistolen herumlaufenden ostukrainischen Separatisten, mit den vermeintlich durch Referenden bestätigten "politischen Vertreter der Ost-Ukraine" verhandelt und weiß ganz genau, dass er selbst jegliche Verhandlungen mit Geiselnehmern, Verbrechern, Terroristen und antirussischen Separatisten - wie damals in Tschetschenien - nicht verhandeln würde, genau wie jetzt die ukrainische Ãœbergangsregierung. Russland bietet – zur Freude westlicher Politiker und Medien - stärkere Grenzkontrollen an, um vermeintlich zur Beruhigung der Lage beizutragen, dabei dienen stärkere russische Grenzkontrollen dem besser organisierten russischen Nachschub an Kämpfern und Kriegsmaterial in die Ukraine. Die Propaganda bereitet außerdem im russischen Staatsfernsehen die russische Bevölkerung gezielt auf eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung mit der Ukraine vor nach dem Tenor: die ukrainische Armee greift russischsprachige Bürger an - wie einst die Wehrmacht. Und dagegen müsste Russland doch eigentlich etwas unternehmen. Putin zeigt sich natürlich stets höchst scheinheilig sehr besorgt über die Lageentwicklung und greift trotzdem beherzt und erfolgreich weiter in die Trickkiste seines bestens geschulten Propagandaapparates. Putin lügt schamlos wie im Krim-Konflikt nachgewiesen. Putin verdreht bewusst Tatsachen und handelt nur in dem Sinne maßvoll, dass er Gesprächspartner bleibt, ohne seine neoimperialistischen Ziele und die teilweise Restauration der ehemaligen Sowjetunion aus den Augen zu verlieren. Schlimm ist, dass Russland mit seiner Propaganda bei den wenig geschulten und gelegentlich etwas naiven westlichen Medien und Politikern immer wieder Erfolg hat.

Und viertens führt Putin einen neuen kalten Krieg gegen Europa und die westliche Welt. Dazu rüstet Russland stärker auf als die Staaten der EU und der NATO, ausgenommen die USA. Russland bedroht durch sein politisches Verhalten seine westlich orientierten Nachbarn und versucht alles, ehemalige Sowjetrepubliken vor einer Westorientierung abzuschrecken. Russland berücksichtigt die grundlegenden Werte der Europäischen Union und der NATO nicht und macht so eine Partnerschaft unmöglich. Das Blockadeverhalten aus Prinzip als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat ist ein weiteres Indiz. Russland ist bereit, das Völkerrecht aus Eigennutz zu verletzten und die Integrität souveräner Staaten mit Füßen zu treten. Wenn die westliche Wertegemeinschaft Rückgrat und Ehre nicht verlieren will, darf sie dieses Verhalten Russlands nicht hinnehmen.

Natürlich muss der Westen mit Russland im Gespräch bleiben, denn ohne Russland gibt es keine nachhaltigen und dauerhaften Lösungen. Aber dieser Zweck heiligt nicht alle Mittel und schon überhaupt keine Willfährigkeit. Präsident Obama und die EU dürfen sich nicht länger mit Lippenbekenntnissen und Entspannungsplacebos abspeisen lassen, sondern müssen von Putin echte Beweise einer friedens-, stabilisierungs- und entspannungsorientierten Politik fordern. Die westliche Staatengemeinschaft müsste Putin auffordern zu erklären, dass Russland die Souveränität und Integrität der Ukraine zukünftig achten wird, dass es keine weiteren Annexionen ukrainischer Regionen durch die russische Föderation geben wird, dass die Separatisten von Russland keinerlei politische und militärische Unterstützung und keine Unterstützung illegaler Handlungen erwarten können und dass diese ihre bewaffneten Aktionen deswegen einstellen sollen. Aufgrund einer solchen Erklärung könnte ein friedlicher Ausgleich erreicht und die Partnerschaft wiederbelebt werden.

Sollte Putin dazu nicht bereit sein, müssen die nächsten Sanktionsstufen aufgerufen werden und letztlich könnte der Westen aufzeigen, welche Folgen es haben kann, wenn Verträge aufgekündigt werden. Ein Beispiel ist der noch von Stalin 1936 unterzeichnete Vertrag von Montreux, der die Durchfahrt von Kriegsschiffen im Bosporus regelt. Wenn der Westen diesen Vertrag aufkündigt, dümpelt die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol und in Teilen des Schwarzen Meeres relativ ungefährlich vor sich hin.

(15.06.2014)

 

 

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