Hans-Heinrich Dieter

Ziele für Afghanistan!   (12.11.2017)

 

Die NATO-Verteidigungsminister trafen sich in Brüssel und haben einige zielführende Entscheidungen getroffen.

Die NATO-Kommandostruktur wird dem neuen Schwerpunkt der äußeren Sicherheit - Bündnisverteidigung - entsprechend verstärkt, indem zwei neue Hauptquartiere aufgebaut werden. Eines soll Truppenverlegungen innerhalb Europas planen, koordinieren und führen. Das zweite soll Marineeinsätze im Atlantik führen können, um im Spannungs- und Kriegsfall den Seeweg zwischen den Vereinigten Staaten und Europa frei zu halten. Damit reagiert das Transatlantische Bündnis auf die politische Aggressivität und auf die Völkerrechtsverletzungen Russlands, die insbesondere die baltischen Staaten und die osteuropäischen Partner als Bedrohung empfinden. Wenn die NATO glaubhaft abschrecken will, muss sie auch Truppen größeren Ausmaßes über den Atlantik und in Europa über große Entfernungen schnell und sicher verlegen können. Die letzten NATO-Übungen, insbesondere mit schnellen Eingreifkräften, haben hier deutliche Defizite gezeigt.

Ãœber die Details der erweiterten Kommandostruktur soll Anfang nächsten Jahres entschieden werden. Da kann und sollte man auf bestehenden Strukturen aufbauen. Deutschland war im Kalten Krieg Drehscheibe für den Aufmarsch der NATO und hat Kenntnisse und Erfahrungen im Host Nation Support, auf die zurückgegriffen werden könnte. Und die Streitkräftebasis der Bundeswehr ist zuständig für territoriale Verteidigung, Logistik und Feldjägerwesen der Bundeswehr und hat Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den Bundesländern und den entsprechenden deutschen Behörden. Diese Strukturen und Fähigkeiten sollte Deutschland dem Bündnis, aber auch der EU unbedingt anbieten. Damit die NATO möglichst bald und kostensparend „Die richtigen Truppen, am richtigen Ort – zur richtigen Zeit“ verfügbar machen kann.

Außerdem will die NATO künftig bei ihren Einsätzen auch Cyberoperationen gegen Gegner führen können. Die Verteidigungsminister einigten sich dazu auf Leitlinien für militärische Hackerangriffe. Mit gezielten Cyberattacken sollen beispielsweise Propagandaseiten des Gegners im Internet lahmgelegt werden können. Und es gilt auch, bei Bedarf ganze Computer- oder Mobilfunknetze auszuschalten, um die Kommunikation oder die Stromversorgung von Militäranlagen zu stören. Allerdings will die NATO derzeit noch keine bündniseigenen Fähigkeiten für Cyberangriffe entwickeln. Diese Fähigkeit sollen die Partnerländer einbringen können. Soweit zu den zielführenden Entscheidungen.

Darüber hinaus wurde die Erhöhung der Truppenpräsenz der NATO in Afghanistan entschieden. Diese Entscheidung markiert eher das Scheitern der NATO-Ausbildungsmission „Resolute Support“ für die afghanischen Sicherheitskräfte, aber auch das Scheitern der „Bemühungen“ der afghanischen Regierung, die zugesagte Reformagenda erfolgreich umzusetzen.

Seit der Beendigung des NATO-Kampfeinsatzes 2014 hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan drastisch verschlechtert. Die UN zählten in der ersten Hälfte 2017 rund 1.700 Tote und etwa 3.600 Verletzte, überwiegend durch Angriffe von Taliban und anderen islamistischen Gruppen, Milizen und organisierte Kriminalität - die meisten der Opfer sind Zivilisten, Tendenz steigend. Die Taliban bestimmen das Gesetz des Handelns und übernehmen die Gewalt in immer mehr Regionen. Sie kontrollieren bereits ein Viertel der Distrikte Afghanistans, in weiteren 25 Prozent kämpfen sie um die Macht. Und auch der Islamische Staat (IS) baut seine Machtbasis in Afghanistan aus. Hier geht es deswegen inzwischen um eine gemeinsame Bedrohung der afghanischen Bevölkerung sowie der noch im Land verbliebenen NATO-Truppen, Berater, NGO´s und Entwicklungshelfer.

Wenn man also die Hilfe für Afghanistan weiterführen und dafür einen hinreichenden Schutz gewährleisten will, muss die NATO angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage selbst diesen Schutz bieten, denn die afghanischen Sicherheitskräfte haben sich dafür als deutlich unzureichend erwiesen. Dem soll die Erhöhung der NATO-Truppenpräsenz um ca. 3000 Soldaten hauptsächlich dienen. Die Qualität der Ausbildung soll allerdings auch dadurch gesteigert werden, dass NATO-Spezialkräfte afghanische Kämpfer künftig auch verstärkt außerhalb geschützter Feldlager ausbilden werden. Eine Rückkehr zu einem Kampfeinsatz schließt die NATO aus. Und Deutschland hat dem neuen Konzept grundsätzlich zugestimmt, wird aber den Einsatz auf der Grundlage des gültigen Mandats unverändert weiterführen, obwohl der deutsche Kommandeur bereits im Juni die Forderung erhoben hat, die Zahl der Soldaten von 980 auf bis zu 1400 zu erhöhen – zur Stärkung der Ausbildung und zugleich für den Schutz der eigenen Soldaten. Aber Deutschland ist derzeit nicht handlungsfähig – das wirkt ein wenig peinlich und blamabel.

Die Zielsetzung der NATO ist insgesamt also äußerst begrenzt und weder nachhaltig noch zukunftsorientiert, denn es geht doch nur darum, die sehr wenig erfolgreiche Ausbildungsmission „Resolute Support“ mit ein wenig mehr Eigensicherung fortzuführen. Der afghanischen Bevölkerung ist damit sehr wenig gedient.

Der realen Lage entsprechend müsste es eigentlich zu einer größeren regionalen Zusammenarbeit im Kampf gegen die erstarkten Taliban-Terroristen und auch gegen das sich ausbreitende Krebsgeschwür IS kommen. Die USA haben das grundsätzlich verstanden, denn neben den dann 16.000 NATO-Soldaten sollen 4.000 US-Special Forces außerhalb des Bündnisses, auf bilateraler Ebene in Absprache mit der afghanischen Regierung, afghanische Sicherheitskräfte bei Kampfeinsätzen gegen Terroristen begleiten oder selbst Taliban und IS bekämpfen. Das entspricht dem verkündeten „Strategiewechsel“ der USA. US-Verteidigungsminister James Mattis drückte das kürzlich so aus: „Wir werden jeden verfolgen, der die NATO-Pläne zu durchkreuzen versucht und die afghanische Regierung bedroht – wo immer wir sie finden“. Seit September haben die USA ihren eigenständigen und unterstützenden Waffeneinsatz gegen die Taliban schon sehr deutlich verstärkt. Und die neue US-Botschafterin bei der NATO, Kay Bailey Hutchison sagte in dem Zusammenhang: „Unser Ziel ist, den Taliban zu zeigen, dass wir da sind, um zu bleiben. Und sie an den Tisch zu bringen für einen nachhaltigen Friedensprozess“. Diese Zielsetzung ist aber sehr begrenzt und wird auch der sehr deutlich verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan nicht gerecht. Diese „Zielsetzung“ entspricht auch nicht der realen politischen Lage, denn die afghanische Regierung ist korrupt und derzeit nur sehr eingeschränkt handlungsfähig. Darüber hinaus zeigen die Taliban keinerlei Ambitionen, an den Verhandlungstisch zu kommen – vielmehr verweigern sie Verhandlungen solange „Besatzungstruppen“ im Land sind. Nur signifikant geschwächte Taliban werden verhandlungsbereit sein. Die USA verfolgen also, anders als die NATO, durchaus einen an der Sicherheitslage orientierten Ansatz, allerdings höchst unzureichend und deswegen auch nicht erfolgversprechend.

Die USA und die NATO verfügen derzeit ganz offensichtlich weder über den Willen noch über die Kraft, um eine wirksame Strategie für die erfolgreiche Bekämpfung der Taliban und auch des IS zu entwickeln und in die gemeinsame Tat umzusetzen. Und die westliche Welt wird es erfahrungsgemäß auch nicht schaffen, alle Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen, geschweige denn, gute Regierungsführung in dem durch und durch korrupten politischen Umfeld Afghanistans zu erreichen. 

Dass die NATO mehr Soldaten nach Afghanistan schickt, wird daher nicht der Verbesserung der Lage der afghanischen Bevölkerung dienen, sondern lediglich der Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens. Das ist als „Ziel“ zu dürftig!

(12.11.2017)

 

 

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