Hans-Heinrich Dieter

Wiederbelebung der Wehrpflicht?   (24.02.2017)

 

Im Zusammenhang mit der Diskussion um stärkere Verteidigungsanstrengungen der europäischen NATO-Mitglieder fordert der CDU-Sicherheitspolitiker und Bundestagsabgeordnete Sensburg in einem Interview die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht: „Die wachsende Verantwortung Deutschlands als internationaler Akteur muss mit einer Vorbildfunktion bei der Verteidigungs-Fähigkeit einhergehen. Dazu gehört auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht.“ Damit würden drei zentrale Ziele verfolgt: „Eine verbesserte Verteidigungsbereitschaft in sicherheitspolitisch unruhigen Zeiten, die engere Verzahnung zwischen Bevölkerung und Bundeswehr, sowie die Wahrnehmung der wachsenden Verantwortung Deutschlands in internationalen Belangen.“ Diese Aussagen können so nicht stehen bleiben.

Deutschland hat nach 55 Jahren die allgemeine Wehrpflicht zum 01.07.2011 im Rahmen der zu Guttenbergschen Bundeswehrreform ausgesetzt - überhastet, planlos, ohne hinreichende Diskussion im Bundestag, ohne gesetzliche Grundlage und ohne sicherheitspolitische und strategische Herleitung. Bei diesem Vorgang ist auch das Parlament seiner Verantwortung nicht gerecht geworden.

Ich war immer ein Befürworter einer sinnvollen Wehrpflicht. In den letzten 25 Jahren wurde die Wehrpflicht in Deutschland aber nur halbherzig und nie wirklich gerecht gehandhabt. Deswegen wurde im Zusammenhang mit der Entwicklung der sicherheitspolitischen Lage und mit den stark reduzierten Mobilmachungs-Erfordernissen immer häufiger mit Recht die Sinnhaftigkeit der Wehrpflicht infrage gestellt. Die damalige Schwarz-Gelbe Bundesregierung hat zudem den Grundwehrdienst in Richtung Sinnlosigkeit auf 6 Monate verkürzt und damit ad absurdum geführt.

Ein konditioniertes Aussetzen der Wehrpflicht war damals deswegen besser, als von jungen Staatsbürgern einen militärisch unsinnigen und sicherheitspolitisch nicht zu begründenden, zu kurzen Wehrdienst abzuverlangen. Kurz: das Aussetzen der Wehrpflicht mit der Möglichkeit für freiwilligen Wehrdienst beendete die Zumutung für junge Staatsbürger, machte den Weg frei für Wehrgerechtigkeit und befreite die Streitkräfte von der Organisation eines zuletzt unsinnigen Grundwehrdienstes, ohne auf den einsatznotwendigen und wichtigen freiwilligen Wehrdienst von Reservisten aber auch von freiwilligen Bürgern verzichten zu müssen. Der gravierende Fehler war die überhastete, planlose und nicht organisierte Umsetzung dieser Entscheidung. Darunter leidet die Bundeswehr heute noch.

Dieser gravierende Fehler ist aber nicht durch die Wiederbelebung der Wehrpflicht gut zu machen. Denn die ganze personalintensive Organisation zur Ausbildung der Wehrpflichtigen und zum Trainieren der wehrpflichtigen Reservisten ist auch infrastrukturell abgerüstet und wäre nur mit hohem finanziellem und personellem Aufwand zu Lasten von für Einsätze verfügbarer Soldaten zu gewährleisten.

Die wiederbelebte Wehrpflicht löst das Problem des Personalmangels in den Streitkräften nicht, denn heute wird motiviertes und qualifiziertes Personal gebraucht, das sich auch länger an die Bundeswehr bindet und auch bereit ist, in kriegsähnlichen Einsätzen Dienst für Deutschland zu leisten. Angesichts der demographischen Entwicklung und in Konkurrenz zur Wirtschaft ist es nicht einfach, den jährlichen Bedarf von etwa 60.000 freiwilligen und physisch, psychisch und geistig geeigneten Bewerbern zu decken. Denn es mangelt der kaputtgesparten Bundeswehr an Attraktivität. Denn die gut Ausgebildeten, die Begabten und Intelligenten, die auch in der freien Wirtschaft gute Chancen und weitaus bessere Verdienstmöglichkeiten unter oft angenehmeren Rahmenbedingungen haben, sind nur schwer für den gelegentlich gefährlichen Soldatenberuf zu begeistern. Und welcher wirklich begabte Bürger will schon Soldat werden in Streitkräften, deren Einsatzfähigkeit öffentlich bezweifelt wird, denen der für die desolate Lage mitverantwortliche Wehrbeauftragte Bartels „planmäßige Mangelwirtschaft“ vorwirft und die als „Sanierungsfall“ bezeichnet werden, bei dem teilweise nur 30 Prozent des kampfentscheidenden Großgerätes einsatzklar sind.

Keine Attraktivität ohne Einsatzfähigkeit. Und Einsatzfähigkeit wird nur herzustellen sein, wenn die gravierenden personellen, materiellen und infrastrukturellen Mängel behoben sind und wenn der „riesige Investitionsbedarf“ durch Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel gedeckt ist. Eine Wiederbelebung der Wehrpflicht wäre da eine zusätzliche Belastung.

Deutschland wird in Europa eine „Vorbildfunktion bei der Verteidigungs-Fähigkeit“ nur durch Einsatzfähigkeit der Streitkräfte auf neuem Stand der Technik erreichen. Eine wiederbelebte Wehrpflicht wird in Deutschland auch nicht zu einer engeren Verzahnung zwischen Bevölkerung und Bundeswehr führen, dazu sind die deutschen Bürger zu bauch-pazifistisch eingestellt und sicherheitspolitisch zu wenig interessiert. Und „der wachsenden Verantwortung Deutschlands in internationalen Belangen“ wird die Bundesrepublik nicht durch eine mühsam wiederbelebte Wehrpflicht gerecht, sondern durch eine zielorientierte vernetzte Sicherheitspolitik im Rahmen der NATO und der EU, die notfalls auch mit einsatzfähigen deutschen Streitkräften im Rahmen der Bündnisse durchgesetzt werden kann.

Wenn die allgemeine Wehrpflicht irgendwann wiederbelebt werden soll, dann müsste das im Rahmen der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht geschehen. Wir leben in unruhigen Zeiten mit hohen Ansprüchen an die demokratischen Gesellschaften. Da gibt es für eine Dienstpflicht neben der Bundeswehr eine ganze Reihe sinnvoller Aufgaben für junge Staatsbürger wie Katastrophenschutz, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Integration von Migranten, Pflege und Fürsorge, Umweltschutz und Entwicklungshilfe. Nur durch Einbindung in eine allgemeine Dienstpflicht könnte eine wiederbelebte Wehrpflicht sinnvoll und gerecht gestaltet werden.

(24.02.2017)

 

Bei Interesse lesen Sie bitte auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/verteidigungsinvestitionen.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/personalstrategie.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/freiwilligesoldaten.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/freiwilligen-streitkraefte.html

http://www.md-office-compact.de/FehlerhafteWehrpflicht-Debatte.htm

 

 

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