Hans-Heinrich Dieter

Verteidigungsfähige EU?   (27.09.2016)

 

Die Europäische Union will hinsichtlich ihrer Verteidigungsfähigkeit und bezüglich der Gewährleistung gemeinsamer Sicherheit schlagkräftiger und wirkungsvoller werden. Dazu gibt es eine deutsch-französische Initiative, jetzt auch noch ein italienisches Papier sowie eine Schrift der EU-Außenbeauftragten Mogherini. Und es gibt natürlich eine ganze Reihe von wenig sagenden Standardsätzen von Kanzlerin Merkel auf dem EU-Sondergipfel in Bratislava: „Wir haben gesagt, dass wir mehr Zusammenarbeit brauchen - das trifft auf sehr breite Zustimmung aller im Bereich der Verteidigung.“ Und Jean-Claude Juncker stellt fest: „Europa darf nicht länger von der alleinigen militärischen Macht und Fähigkeit einzelner Länder abhängen.“ Man könnte eigentlich über solche Initiativen richtig froh sein, wenn es nicht die geradezu blamable EU-Geschichte erfolgloser Anstrengungen um eine stärkere Zusammenarbeit in Sachen Verteidigung und Sicherheit und den bedauernswerten Zustand der aktuellen EU gäbe.

Denn Bemühungen um mehr europäische Gemeinsamkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sind nicht neu. Schon 1999 wurde mit dem Helsinki Headline Goal (HHG) beschlossen, die European Rapid Reaction Force (ERRF) aufzustellen. 2004 wurde dann die Idee der EU-Battlegroups entwickelt. Im Zeitraum 2005 bis 2007 wurden die ersten Verbände einsatzbereit gemeldet und seitdem werden immer ein bis zwei dieser auch multinationalen Kampfgruppen in Alarmbereitschaft gehalten, ohne allerdings bisher dem Konzept entsprechend eingesetzt worden zu sein. Die bedauernswerten "EU-Battlegroups" sind eine bisher weitestgehend arbeitslose Truppe.

Im April 2015 wollten Deutschland, Frankreich und Polen zum Motor für eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union werden. Als deutlich sichtbares Zeichen dieser gemeinsamen Initiative sollten die EU-Kampfgruppen zukünftig bei Krisen als schnell verfügbare erste Kräfte eingesetzt werden. Diesbezüglich wurde bisher nichts realisiert. Dabei ist es grundsätzlich sehr gut, wenn angesichts der neuen sicherheitspolitischen Lage in Europa mehr Gemeinsamkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gesucht wird. Bisher sind allerdings alle Ansätze dazu mehr oder weniger im Status der Willensbekundung geblieben. Darüber hinaus fördern die Initiativen von immer mehr EU-Mitgliedern nicht unbedingt die vertiefte politische Gemeinsamkeit der Europäischen Union insgesamt - im Gegenteil.

Und die Gegenwart der EU macht im Hinblick auf vertiefte gemeinsame Verteidigungsanstrengungen auch keinen Mut. Denn die Europäische Union ist derzeit in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand. Die Finanzkrise ist nicht überwunden, die Staatsverschuldung ist in den meisten Mitgliedstaaten nicht im Griff, die massiven Strukturprobleme der meisten EU-Staaten sind nicht oder nur unzureichend behoben, das Wirtschaftswachstum der südeuropäischen Staaten ist so niedrig, dass die EZB die Niedrigzinspolitik zunächst nicht ändern wird, die Jugendarbeitslosigkeit ist teilweise so hoch, dass sich junge Bürger radikalisieren und die Flüchtlingsproblematik spaltet Europa weiterhin tief. Bisher war die EU nicht einmal in der Lage, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu formulieren. Die Europäische Union hat massiv an Ansehen verloren und wird als Partner in der Weltpolitik wenig ernst genommen. Die EU zeigt sich handlungsunfähig und ist in vielerlei Hinsicht vom Scheitern bedroht. Eine schon einmal propagierte „europäische Verteidigungsunion“ und die illusionäre Vision einer „EU-Armee“ setzen aber eine besser strukturierte, tiefer integrierte und handlungsfähige Europäische Union voraus. Davon sind wir in Europa sehr weit entfernt. Deswegen werden auch unsere Enkel eine europäische Verteidigungsunion nicht erleben.

Wir haben es deswegen wieder einmal mit Symbolpolitik zu tun. An der EU als Wertegemeinschaft kommen berechtigte Zweifel auf, weil nicht alle Mitglieder sich diesen Werten verpflichtet fühlen. Die EU als Solidargemeinschaft existiert heute schon nicht mehr, weil zahlreiche Mitglieder die Solidarität verweigern. Aus gewünscht solidarischen Partnern in der EU sind Gegnergruppierungen geworden, die zu gemeinsamer Politik kaum noch fähig sind. Mit der Initiative zur Gewährleistung gemeinsamer Verteidigung und Sicherheit soll den nationalen Wahlvölkern verdeutlicht - oder auch vorgegaukelt - werden, dass die EU noch handlungsfähig ist und eine Zukunft hat. Gemeinsame Verteidigung und Sicherheit eignen sich aber nicht für Symbolpolitik, denn man braucht eine gemeinsame Politik, eine gemeinsame Strategie, ein gemeinsames Konzept - auch für die Finanzierung - man braucht gemeinsam entschiedene Befehls- und Kommandostrukturen, die auch mit der Reduzierung nationaler Souveränität in Teilbereichen einhergeht. Dazu wird die EU - wenn es überhaupt gelingt - Jahre und eher noch Jahrzehnte brauchen.

Deswegen sollte die EU nicht Illusionen nachhängen, sondern die Zusammenarbeit mit realen Sicherheitskompetenzen suchen und verstärken. Die NATO macht jetzt schon die richtige und ausgewogene Politik nicht nur gegenüber unserem neuen Gegner Russland. Die NATO ist als Verteidigungsorganisation strukturell handlungsfähig und wird als Partner in der Weltpolitik ernst genommen. Da bräuchte sich die EU als Partner nur zu beteiligen und könnte so gemeinsam mit der NATO sicherheitspolitische Verantwortung Europas in der Welt wahrnehmen. Jegliche kostspielige Konkurrenz zur NATO aufgrund von aufwändigen Doppelstrukturen, Kompetenzüberschneidungen und unübersichtlicher Befehlswege, jegliche politische Relativierung der Bedeutung des transatlantischen Bündnisses ist in der aktuellen Lage von Übel und der Sicherheit Europas abträglich.

Natürlich muss mittel- bis langfristig durchaus an dem Ziel, in der Sicherheitspolitik und bei Rüstungsvorhaben stärker zu kooperieren, festgehalten werden. Das geht aber in der wirklichen Welt nur in kleinen realistischen Schritten und in Kooperation einzelner EU-Mitgliedsländer, die die Zusammenarbeit auch wirklich wollen.

Auf absehbare Zeit ist die EU als politische Gemeinschaft nicht in der Lage, ihr sicherheitspolitisches Schicksal mit Erfolgsaussichten in die eigenen Hände zu nehmen!

(27.09.2016)

 

 

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