Hans-Heinrich Dieter

Unwürdige Türkei   (30.11.2015)

 

Auf dem Sondergipfel in Brüssel haben sich die Europäische Union und die Türkei einen Aktionsplan mit dem Ziel ausgehandelt, die Flüchtlingszahlen durch verstärkten Schutz der Grenze zu Griechenland zu begrenzen. Dafür wird die EU der Türkei drei Milliarden Euro zahlen und im Hinblick auf Visafreiheit für Türken und die Beitrittsverhandlungen Zugeständnisse machen.

Es ist sicher richtig, alles zu unternehmen, um den ungebremsten Zustrom von Flüchtlingen in die EU zu verlangsamen, zu verringern und in geordnete Bahnen zu lenken. Verständlich und richtig ist es auch, dass die EU die Türkei finanziell bei der Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen aus Syrien unterstützen will. Wichtig ist aber auch, dass sich die überforderte und zu gemeinsamem Handeln nicht mehr fähige EU in ihrer Not immer wieder vor Augen führt, mit welcher Art Staat sie verhandelt, wie vertrauenswürdig dieser Staat ist und welche Aussichten auf tatsächliche Umsetzung der Vereinbarungen tatsächlich bestehen. Die EU ist deswegen gut beraten, die vereinbarten Zahlungen schrittweise und an wirkliche Leistungen der Türkei gekoppelt zu erbringen.

Denn die Türkei leistet sich seit Jahren ein mehrschichtiges und relativ undurchsichtiges politisches Spiel. Über lange Zeit hat die Türkei den IS gewähren lassen, Grenzverkehr und auch die Einreise von Dschihadisten nach Syrien zugelassen, weil sie Assad schwächen wollte. Nicht wenige türkische Bürger, mehrheitlich sunnitische Muslime, sympathisieren mit dem sunnitischen IS, es gibt aktive IS-Zellen in der Türkei und über tausend türkische IS-Terroristen im Einsatz in Syrien und im Irak. Auch deswegen gibt es keine weitreichende türkische Solidarität mit der internationalen Koalition gegen den IS-Terror. Es bleibt bisher bei einer nationalistisch und innenpolitisch orientierten türkischen Haltung, die grundsätzlich nicht gegen den IS sondern hauptsächlich gegen die PKK gerichtet ist. Mit dieser Politik hat die Türkei die Fluchtursachen für syrische Bürger verstärkt.

Die Türkei lässt sich dann aber dafür feiern, dass sie so viele Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat. Die Türkei beherbergt diese Flüchtlinge aber nicht auf der Grundlage der Menschenrechte sondern lässt sie in überfüllten Lagern weitgehend unversorgt unwürdig vor sich hin vegetieren. Die Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten und die Kinder dürfen nicht zur Schule gehen. Dadurch hat die Türkei - absichtlich? - Bedingungen geschaffen, die die Flüchtlinge weiter nach Europa treiben. Um sich so von Flüchtlingen zu entlasten, ist die Türkei auch nicht konsequent gegen Schlepperbanden vorgegangen und hat seine Grenzen zu Griechenland nur unzureichend kontrolliert. Einem Land, das NATO-Mitglied ist und sich Europa und damit auch NATO-Partnern gegenüber so unwürdig verhält, muss man ein sehr gesundes Misstrauen entgegenbringen: Zahlungen nur gegen erbrachte konkrete Leistung!

Und dieser Türkei will die EU nun mit Visa-Erleichterungen und mit Zugeständnissen im Rahmen der Beitrittsverhandlungen entgegenkommen? Da muss die Europäische Union stark aufpassen, dass nicht sie die Reste ihrer Glaubwürdigkeit und Würde verliert. Denn die Beitrittsverhandlungen wurden vor zwei Jahren ja nicht ohne Grund eingefroren. Eine Mehrheit der EU-Mitglieder ist der Auffassung, dass die muslimisch geprägte Türkei nicht zu Europa gehört. Die islamische Türkei hat sich islamistisch entwickelt und nach dem jüngsten Fortschrittsbericht der EU hauptsächlich im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Verwirklichung der Menschenrechte sowie der Meinungs- und Pressefreiheit rückentwickelt. Die jüngsten Beispiele dafür, dass der Türkei Pressefreiheit nichts wert ist und Menschenrechte mit den Füßen getreten werden, sind weltweit bekannt. Von einem solch unwürdigen Beitrittskandidaten darf sich die EU nicht erpressen lassen und sie darf durch ihr politisches Verhalten nicht dazu beitragen, dass das zunehmend autoritäre Regime Erdogans in Europa Anerkennung findet.

Die Europäische Union muss in den nun wieder aufzunehmenden Beitrittsverhandlungen konsequent an den Aufnahmekriterien festhalten. Jegliches Anbiedern und jeglicher Schmusekurs der EU gegenüber der bisher beitrittsunwürdigen Türkei und dem nationalistischen, chauvinistischen und zunehmend autokratisch agierenden Erdogan verbieten sich, wenn die EU nicht noch weiter an Glaubwürdigkeit, an Vertrauen und auch an Würde verlieren will.

(30.11.2015)

 

 

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