Hans-Heinrich Dieter

Terror in Afghanistan   (17.08.2015)

 

Seit Anfang 2015 liegt die Verantwortung in Afghanistan für den Kampf gegen die Taliban nicht mehr bei den Soldaten der internationalen Gemeinschaft und der NATO, sondern bei den afghanischen Sicherheitskräften. Die etwa 12.000 NATO-Soldaten der Mission "Resolute Support", dabei 850 deutsche Soldaten, haben lediglich beratende Funktionen.

Afghanistan ist souverän und nun eigenverantwortlich für die Sicherheit seiner Bürger, ohne allerdings dieser Verantwortung in absehbarer Zeit gerecht werden zu können. Weder die Hilfsorganisationen, die an Entwicklungs- und Wiederaufbauprojekten in der Region arbeiten, noch die eigene Bevölkerung vertrauen den afghanischen Sicherheitskräften. Denn die Qualität der Sicherheitskräfte lässt noch sehr zu wünschen übrig. Die Truppe zeigt sich bisher vielfach unzureichend diszipliniert und auch wenig zuverlässig, weil sie teilweise durch Taliban unterwandert ist. Die Beratung und Ausbildungsunterstützung durch "Resolute Support" kann da die gravierenden Mängel nur allmählich beheben. Das wirkt sich insgesamt negativ aus, obwohl aufgrund eines bilateralen Abkommens amerikanische Einheiten in die Kämpfe mit den Taliban eingreifen. Kampfdrohnen, Hubschrauber der US-Armee fliegen im ganzen Land Einsätze, insgesamt im ersten Halbjahr 2015 etwa 300 Mal.

In der vergangenen Woche kam es zu der verheerendsten Anschlagsserie in Kabul seit Dezember 2011. Ein Anschlag am Flughafen, eine Attacke galt einer Polizeiakademie, eine weitere einem US-Militärstützpunkt. Unter den mehr als 50 Opfern waren viele Zivilisten und Polizeianwärter sowie ein Soldat der NATO. Mehr als 240 Menschen wurden verletzt. Heute wurde bekannt, dass eine deutsche Entwicklungshelferin entführt worden sein soll. Eine Lagebesserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil.

Die Taliban haben sicher auch erhebliche Verluste, aber sie haben die Initiative und zwingen den Sicherheitskräften teilweise spektakuläre Niederlagen auf wie am letzten Juli-Wochenende 2015, als sie in Nordostafghanistan mehr als 100 Polizisten einkesselten und zur Aufgabe zwangen. Entsprechend sind die Verluste der Sicherheitskräfte. Allein die afghanische Armee hat in diesem Jahr bereits 5.000 Soldaten verloren, deutlich mehr als 2014. 2015 mussten bisher mehr als 100.000 zivile Afghanen vor Kämpfen fliehen. Und die UN erwarten, dass die Zahl der zivilen Opfer in diesem Jahr im Vergleich zu den 10.000 zivilen Toten und schwer Verletzten 2014 deutlich steigen wird. Die aktuelle Sicherheitslage ist sehr unbefriedigend mit negativer Tendenz. Afghanistan ist sehr instabil und das blockiert die Wirtschaft sowie den strukturellen Aufbau des Landes.

Die Unsicherheit des Landes wird verstärkt durch die Rivalitäten und Feindschaften, die im Zusammenhang mit der Nachfolgeregelung des verstorbenen Talibanführers Mullah Omar aufgebrochen sind. Mullah Mansur wird von vielen nicht anerkannt und gilt als wenig berechenbar bis zu moderat. Das birgt die Gefahr, dass sich viele jüngere radikale, islamistische Taliban dem-Terror-Konkurrenten "Islamischer Staat" in Afghanistan anschließen. In dieser Lage sind die Aussichten auf erfolgreiche Friedensverhandlungen mit den Taliban zunächst auf unbestimmte Zeit versperrt.

In dieser Lage hat Verteidigungsministerin von der Leyen schon angedeutet, dass der Einsatz der deutschen Soldaten länger als bisher geplant, also über 2016 hinaus dauern wird. Das Rational für solche Andeutungen erschließt sich bisher nur undeutlich.

Der sehr lange und in jeder Hinsicht kostspielige militärische Kampfeinsatz der internationalen Staatengemeinschaft in Afghanistan ist keine Erfolgsgeschichte. Die internationale Staatengemeinschaft wollte am Hindukusch demokratische Strukturen schaffen und die Lebensbedingungen der Afghanen verbessern. Die Afghanen hingegen wollen sich – hauptsächlich finanziell und wirtschaftlich - helfen lassen, aber nicht nach westlichen Vorstellungen leben. Politische und wirtschaftliche Strukturen sind bisher nicht tragfähig, das Land ist durch und durch korrupt und der Drogenanbau und Drogenhandel haben zugenommen. Die Ausbildungsmission "Resolute Support" ist, gemessen an den Erfolgen der Sicherheitskräfte nur sehr bedingt erfolgreich. Die Taliban sind lagebestimmend, kontrollieren zunehmend ganze Regionen und terrorisieren die Bevölkerung. Der Islamische Staat in Afghanistan fasst Fuß und wird zu einer ernsthaften Konkurrenz für die Taliban.

Welcher Einsatz deutscher Soldaten soll also über 2016 hinaus verlängert werden? Sicher nicht der bisherige, unzureichende Ausbildungs- und Beratungseinsatz! Eine Verlängerung würde nur dann Sinn machen, wenn die USA zusammen mit der westlichen Welt zu dem Schluss kommen, dass mit dem von Pakistan unterstützten Erstarken der Taliban und den zunehmenden Terroraktivitäten des IS in Afghanistan eine auch für die westliche Welt gefährliche neue Lage entstanden ist, der militärisch effektiv begegnet werden sollte. Dann muss die westliche Welt auf der Grundlage eines UN-Beschlusses ganz neu planen und den Terror am Hindukusch mit aller Macht bekämpfen wollen. Die ab 2017 ins Auge gefasste zivil geführte NATO-Mission mit "leichter" militärischer Komponente und Schwerpunkt Polizeischulung, Streitkräfteplanung und Korruptionsbekämpfung "Enhanced Enduring Partnership", wird zur Terrorbekämpfung nicht maßgeblich beitragen können. Bei der gegenwärtigen Lageentwicklung läuft die NATO Gefahr, dass sie ab 2017 in Afghanistan weder Halbes noch Ganzes macht.

(17.08.2015)

 

 

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