Hans-Heinrich Dieter

Politisches Erwachen!   (10.02.2016)

 

Die Bundesrepublik Deutschland war sehr lange nur teilsouverän und hat deswegen keine eigenständige Politik machen können. Mit der Wiedervereinigung hat Deutschland staatsrechtlich die volle Souveränität erlangt, verhält sich politisch aber 25 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch nicht souverän, denn Deutschland gefällt sich in der Situation einer Nation, die aus geschichtlichen Gründen nur eingeschränkt Macht und Gewalt ausüben, die solidarisch mitmachen und möglichst geliebt werden will.

Die nur wirtschaftlich starke Mittelmacht Europas, Deutschland, hat es deswegen auch bisher nicht für nötig gehalten, vitale deutsche Interessen und politische Ziele verbindlich zu formulieren. Es genügt uns, Mitglied in der EU und in der NATO zu sein und unseren Beitrag mehr oder weniger angemessen zu erbringen. Das macht Deutschland zu einem relativ beliebigen Partner.

Auf derart schwammiger politischer Grundlage macht Deutschland eine teilweise illusionsgetriebene sowie gefühlsorientierte Außen- und Sicherheitspolitik. Selbst wenn erkennbar ist, dass zum Beispiel die „Wandel durch Annäherung“-Politik des Putin-Jüngers Schröder gescheitert ist, setzt sein SPD-Ziehsohn Steinmeier solche Politik, durch keine Kanzler-Richtlinien gebremst, fort.

Als Putin militärisch in den Syrien-Konflikt eingreift, sieht Steinmeier hoffnungsfroh aber naiv Russland als neuen Partner. Der stark eingeschränkt hoffnungsträchtige Vizekanzler Gabriel plädiert in dem Zusammenhang während seiner überflüssigen Moskaureise vor dem Hintergrund des syrischen Bürgerkriegs und der Flüchtlingskrise in Europa für ein Ende der Sanktionen gegen Russland, weil der Ukraine-Konflikt das Verhältnis nicht so stark belasten dürfe, dass Moskau als Partner in Syrien ausfalle. Die politische Analyse und Lagebeurteilung ist offenbar nur eine Stärke ganz weniger SPD-Politiker.

 Während mehrere westliche Länder Russland vorwerfen, mit seinen Bombardements das Regime in Damaskus zu stützen sowie Zivilisten zu treffen und Zehntausende in die Flucht zu treiben - wie im Moment mit den Angriffen auf Aleppo - hält sich Außenminister Steinmeier vornehm zurück, denn er will ja keine Gesprächskanäle beeinträchtigen. Dabei fällt ihm offenbar noch nicht einmal auf, dass sich sein russischer Kollege Lawrow im Lisa-Fall massiv und geradezu feindlich als Propagandasprachrohr Putins gegen Deutschland einbringt.

Der Rußlandbeauftragte Erler (SPD) ist weniger naiv als seine SPD-Genossen. Im DLF warnt er eindeutig: „Russland hat ein Interesse daran, Europas Einigkeit aufzuspalten.“ Und im Interview verteidigt er sogar die Sanktionen des Westens gegen Russland. Der Druck sei nötig, damit sich Russland im Ukraine-Konflikt konstruktiv verhalte und das Abkommen von Minsk einhalte. Und er ist enttäuscht von Moskau: „Wir haben das Problem, dass Russland, das unverzichtbar ist wegen seiner Verbindungen zu Assad, nicht aufhört mit den Bombardierungen.“ Er brandmarkt das doppelte Spiel Putins.

In dieser Lage fährt der bayerische Löwe Seehofer nach Moskau, macht artige Kotaus bei dem Kreml-Potentaten, wird von den russischen Medien als „Gegner der Kanzlerin Merkel“ begrüßt und von Putin nachhaltig für antideutsche Propaganda genutzt. Und so kehrt dieser bayerische Löwe als etwas abgetretener Bettvorleger und als Putins „nützlicher Idiot“ zurück.

Bundeskanzlerin Merkel ist inzwischen stark unter Druck. Mit bittstellerischen Alleingängen besucht sie die Türkei und macht dem Möchtegernsultan Erdogan gegen ihre politischen Überzeugungen Avancen und zeigt sich erstmalig - nicht als Ergebnis einer sicherheitspolitischen Analyse, sondern aus innenpolitischem Kalkül - entsetzt über die Auswirkungen der russischen Luftangriffe gegen die syrische Opposition. Sie erkennt aber vielleicht jetzt auch, dass Putin mit den Bombardierungen ganz gezielt kurzfristig starken Druck auf die Türkei und langfristig auf Europa ausüben will - mit erheblichem Erfolg.

Verteidigungsministerin von der Leyen sagt nun in der Wochenzeitung „Die Zeit“, Russland treibe ein doppeltes Spiel. Einerseits bombardiere das Land die Bevölkerung von Aleppo, setze sich aber gleichzeitig bei den Wiener Friedensgesprächen dafür ein, dass in Syrien zwischen den Konfliktparteien wieder Vertrauen entstehe.

Und der Moskau-Korrespondent des Bonner Generalanzeigers, Scholl, ordnet das politische Verhalten Putin als „eine andere Art des Krieges“ ein, die seit dem März 2014 zunehmend zu beobachten ist - Putins hybrider Krieg.

Man muss die Hoffnung also noch nicht aufgeben, dass Deutschland gegenüber Russland zusammen mit der EU und der NATO zu einer an den politischen Realitäten orientierten Politik findet.

(10.02.2016)

 

 

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