Hans-Heinrich Dieter

NATO und Türkei   (02.12.2015)

 

Die Agenda des NATO-Außenminister-Treffens in Brüssel sollte eigentlich vom Schwerpunktthema Afghanistan bestimmt werden, wurde aber vom Syrien-Konflikt beherrscht.

Das NATO-Mitglied Türkei hat eine lange Grenze zu Syrien. Russische Kampfflugzeuge haben bereits im Oktober mehrfach den türkischen Luftraum verletzt und Ende November hat die Türkei einen russischen Kampfjet bei Grenzverletzungen abgeschossen. Die NATO gibt der Türkei im politischen Streit mit Russland Rückendeckung und Generalsekretär Stoltenberg versichert: „Wir stehen zu unserer Zusage, Sicherheit für unseren Partner zu garantieren, …ein Angriff auf die Türkei sei auch ein Angriff auf die NATO.“ Und nun denkt die NATO über die erneute Stationierung von Flugabwehrkräften in der Türkei nach. Das ist ein Signal an die Türkei aber auch an Moskau, das allerdings über Symbolpolitik nicht hinausgeht.

Denn richtigerweise will die NATO im syrischen Bürgerkrieg keine aktive Rolle spielen. Die Gefahr eines wirklich ernst zu nehmenden syrischen Angriffs auf die Türkei ist verschwindend gering und deswegen wird der eher symbolische Einsatz der deutschen Flugabwehrsoldaten bei „Active Fence“ auch gerade richtigerweise beendet. Die Gefahr eines russischen Angriffs auf die Türkei ist ebenfalls als äußerst gering einzuschätzen und deswegen brauchen auch keine NATO-Truppen in der Türkei stationiert zu werden. Eine erneute Stationierung von Flugabwehrraketen der NATO sollte überhaupt nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Und die sehr schnell verlegbare NATO-Speerspitze als Teil der ohnehin schon verfügbaren NATO Response Force (NRF) ist das verfügbare und richtige abschreckende Signal, auch an den aggressiven Putin und ein mehr und mehr neo-imperialistisch agierendes Russland.

Die NATO hat sich aus dem syrischen Bürgerkrieg mit Recht herausgehalten, auch weil es den Vereinten Nationen aufgrund des Vetos Russlands nicht gelungen ist, mit einer Resolution eine tragfähige völkerrechtliche Grundlage für ein Eingreifen zu schaffen. Mit dem Eintreten Russlands in den Syrienkonflikt sind die Chancen der UN gestiegen, zu einer Resolution zu kommen, die einen Beitrag zur Beilegung des Konfliktes leisten könnte. Nach den Fehlern im libyschen Bürgerkrieg sollte sich die NATO in Syrien aber weiterhin konsequent zurückhalten. Und anstatt missverständliche Signale an die Türkei zu senden, sollten die NATO-Mitgliedstaaten fordern, dass sich die Türkei bei der Bekämpfung des IS in Syrien konsequent in die westliche Koalition einbringt und nicht durch Bombardements der Kurden im Norden Syriens ganz eigene Ziele verfolgt.

Die NATO hat außerdem entschieden, ihre Ausbildungs- und Trainingsmission in Afghanistan „Resolute Support“ 2016 fortzuführen, weil sich die Sicherheitslage am Hindukusch dramatisch verschlechtert hat. Das ist eine sehr fragwürdige Entscheidung. Denn der sehr lange und in jeder Hinsicht kostspielige militärische Kampfeinsatz der internationalen Staatengemeinschaft in Afghanistan ist keine Erfolgsgeschichte. Die Staatengemeinschaft wollte in Afghanistan demokratische Strukturen schaffen und die Lebensbedingungen der Afghanen verbessern. Die Afghanen hingegen wollen sich – hauptsächlich finanziell und wirtschaftlich - helfen lassen, aber nicht nach westlichen Vorstellungen leben. Politische und wirtschaftliche Strukturen sind bisher nicht tragfähig, das Land ist durch und durch korrupt und der Drogenanbau und Drogenhandel haben zugenommen. Die Ausbildungsmission „Resolute Support“ ist, gemessen an den Erfolgen der Sicherheitskräfte nur sehr bedingt erfolgreich. Die Taliban sind lagebestimmend, kontrollieren zunehmend ganze Regionen und terrorisieren die Bevölkerung. Der Islamische Staat fasst außerdem auch in Afghanistan Fuß.

Mit der Verlängerung der Ausbildungsmission wird die dramatisch verschlechterte Sicherheitslage auch 2016 nicht zu verbessern sein, weil sie zur Terrorbekämpfung nicht wirklich beiträgt. Es ist außerdem sehr fraglich, ob mit dieser eher symbolischen Verlängerung des nicht erfolgreichen Ausbildungseinsatzes die Voraussetzungen für die ab 2017 ins Auge gefasste zivil geführte NATO-Mission mit "leichter" militärischer Komponente und Schwerpunkt Polizeischulung, Streitkräfteplanung und Korruptionsbekämpfung „Enhanced Enduring Partnership“ geschaffen werden können. Diese Entscheidung bringt für Afghanistan also weder Halbes noch Ganzes.

Die NATO orientiert sich eigentlich erfreulich konsequent an der politischen Realität. Das erfordert dann auch realpolitische Maßnahmen.

(02.12.2015)

 

 

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