Hans-Heinrich Dieter

NATO-Partner Türkei?   (15.03.2017)

 

Das NATO-Mitglied Türkei blockiert derzeit alle Partnerschaftsprogramme der Allianz, an denen das neutrale Österreich beteiligt ist. Ankara reagierte damit auf anhaltende Forderungen aus Wien nach einem Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei. Betroffen ist die gesamte militärische Zusammenarbeit zwischen den 28 NATO-Ländern und den Partnerstaaten aus Europa, Asien und den ehemaligen Sowjetrepubliken wie Georgien oder der Ukraine - hauptsächlich das Programm der Partnerschaft für den Frieden (PfP). Dadurch werden NATO-Einsätze und Ausbildungsprogramme nachhaltig gefährdet. NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat daraufhin am Montag die Türkei und die anderen Bündnispartner zur Mäßigung aufgerufen. Dabei hätte er das NATO-Mitglied Türkei unzweideutig auffordern sollen, sich solidarisch und partnerschaftlich zu verhalten und die NATO nicht mit seinen innenpolitischen Problemen zu belasten.

Die Türkei, damals ein säkulares, westlich orientiertes muslimisches Land, ist seit Februar 1952 Mitglied der NATO und bringt nach den USA die zweitgrößte Anzahl an aktiven Soldaten in das Bündnis ein. Die türkischen Streitkräfte waren an fast allen Auslandseinsätzen der westlichen Welt beteiligt. Seit der Besetzung Nordzyperns durch die türkischen Streitkräfte im Juli 1974 kam es allerdings immer wieder zu Belastungen der NATO durch die Türkei. Und die heutige islamische Türkei verhält sich schon seit langer Zeit nicht solidarisch sondern eher wie ein unzuverlässiges und deswegen unwürdiges Mitglied der Allianz.

Auf der NATO-Verteidigungsminister-Tagung 2013 in Brüssel haben die Mitgliedstaaten wieder einmal über eine vertiefte Kooperation und über Rüstungszusammenarbeit gesprochen. Der türkische Verteidigungsminister kennt die großen Herausforderungen, vor denen die NATO hinsichtlich der zukünftigen Einsatzfähigkeit der Streitkräfte der Mitgliedstaaten steht. Und die Türkei weiß, dass solche Probleme nur gemeinsam bewältigt werden können. Trotzdem hat die Türkei erklärt, dass sie chinesische Flugabwehrsysteme ausgerechnet von einer mit US-Sanktionen belegten chinesischen Firma kaufen will. Als die NATO die Türkei lediglich davor warnte, Waffensysteme anzuschaffen, die mit der Ausrüstung der Partner nicht kompatibel sind, darüber hinaus möglicherweise ein erhebliches Sicherheitsproblem beim parallelen Einsatz mit NATO-Systemen darstellen, verbat sich Erdogan mit scharfen Worten jede Einmischung der Allianz in die souveränen Rüstungsentscheidungen der Türkei. Das unterbindet dann zunächst sachliche Auseinandersetzungen über ein gemeinsames Problem und verhindert gegebenenfalls eine gemeinsame Lösung mit nachteiligen Auswirkungen auf die Allianz.

Seit der israelischen GAZA-Blockade gebärdete sich die Türkei mit nahezu der Rhetorik totalitärer arabischer Staaten als erklärter Feind Israels. So legte die Türkei gegen die Teilnahme Israels am NATO-Gipfel im Mai 2012 in Chicago ihr Veto ein und begründete diese Aktion damals mit der noch ausstehenden Entschuldigung Israels für den Angriff auf den türkischen Gaza-Hilfskonvoi. Das führte zu Protestreaktionen einiger NATO-Mitglieder im Zusammenhang mit der Teilnahme von Ländern wie Ägypten, Mauretanien, Algerien und Marokko am Mediterranen-Dialog der NATO. Zum wiederholten Mal belastete die Türkei mit bilateralen Problemen das Bündnis. Seit Jahren macht der Chauvinist Erdogan aggressive Außenpolitik und verknüpft das mit altosmanischen Machtansprüchen wie „Unsere Interessen reichen vom Suezkanal bis zum Indischen Ozean.“ Gleichzeitig macht er Kanonenboot-Politik gegenüber Israel. Diese Politik erzeugt nicht nur bei den unmittelbaren Nachbarn Unruhe und Besorgnis, sondern beeinträchtigt auch die Zusammenarbeit im Bündnis - wie die aktuelle türkische Blockade der Partnerschaftsprogramme.

Im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg hat sich die Türkei ein mehrschichtiges und relativ undurchsichtiges politisches Spiel geleistet. Über lange Zeit hat die Türkei den IS gewähren lassen, Grenzverkehr und auch die Einreise von Dschihadisten nach Syrien zugelassen, weil sie Assad schwächen wollte. Um den IS nicht gegen die Türkei aufzubringen, hat das NATO-Mitglied Türkei den USA und der Allianz gegen den IS auch zunächst die Nutzung türkischer Luftwaffenstützpunkte für Luftschläge gegen die Terroristen verweigert und zum Ausdruck gebracht, dass es die Koalition der westlichen Welt nur bedingt unterstützen wird. Nicht wenige türkische Bürger sympathisieren mit dem IS, es gibt aktive IS-Zellen in der Türkei und über tausend türkische IS-Terroristen im Einsatz in Syrien und im Irak. Erst mehrere Anschläge des IS in Antalya oder anderen Urlaubszentren haben die Türkei zum Umdenken gebracht. Aber da hatte die Türkei in der westlichen Welt schon erheblich an Glaubwürdigkeit und Vertrauen verloren.

Danach haben die türkischen Streitkräfte nicht nur unkoordiniert Stellungen des IS in Syrien bombardiert, sondern auch Stellungen der PKK im Norden Syriens und des Irak mit Bomben und Raketen angegriffen. Syrien protestiert wegen der Verletzung seiner Souveränität und die PKK erklärt den Friedensprozess mit der Türkei für beendet. Daraufhin hat auch Erdogan den Friedensprozess mit der PKK aufgekündigt. NATO-Mitglieder wie Deutschland begrüßten die militärische Aktivität der Türkei gegen den IS, riefen aber gleichzeitig dazu auf, den Friedensprozess mit den Kurden weiterzuführen. Wie immer hat Erdogan seine Politik aber ohne Rücksicht auf die westlichen Partner gemacht. Er wird den IS weiter bekämpfen, aber nur wo es im türkischen Interesse dringend geboten erscheint. Und er wird die PKK weiter massiv bekämpfen – eher aus innen- und parteipolitischen Gründen. Dabei interessiert es Erdogan sicher weniger, dass er mit der Bekämpfung der PKK auch die syrischen Kurden schwächt, die als „Bodentruppen der USA und der internationalen Koalition“ die Hauptlast im Kampf gegen den IS tragen. So gesehen gibt es keine wirkliche Solidarität der Türkei mit der westlichen Allianz, denn die Verhinderung von zusammenhängenden Kurdenregionen ist Erdogan ganz offensichtlich wichtiger als der gemeinsame und abgestimmte Kampf gegen die barbarischen Verbrecher des IS! Und bei dieser türkischen Innenpolitik hat sich die NATO leider zum Komplizen gemacht, anstatt dass sie konsequent türkische Solidarität in der Außen- und Sicherheitspolitik gegen den IS eingefordert hat.

2016 haben die NATO-Verteidigungsminister in Brüssel eine von Kanzlerin Merkel initiierte NATO-Marine-Mission in der Ägäis beschlossen. Auf Veranlassung Deutschlands hatten die Türkei und Griechenland die NATO gemeinsam darum gebeten, das Seegebiet zwischen beiden Ländern zu überwachen. Mit dieser Aufklärungsmission sollen Erkenntnisse über Schleuserbanden an die jeweiligen türkischen und griechischen Behörden weitergegeben werden, um Menschenschmuggel und verbrecherischen Netzwerken besser entgegentreten zu können. Es ist nicht Auftrag der NATO, Flüchtlingsboote abzudrängen oder zu stoppen. Die Türkei hat sich in dem Zusammenhang auch bereiterklärt, von der NATO entdeckte oder aus Seenot gerettete Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Die NATO-Mission hatte kaum begonnen, da gab es schon Probleme mit der wenig vertrauenswürdigen und unzuverlässigen Türkei. Dem Athener Außenministerium zur Folge bestreiten türkische Behörden den Punkt in der Vereinbarung zwischen der EU, der NATO und Ankara, wonach von NATO-Schiffen gerettete Bootsflüchtlinge von der Türkei wieder aufgenommen werden sollen. Zudem gab es offenbar Probleme mit dem Einsatz der NATO-Schiffe in Regionen der Ägäis, die nach Ansicht der Türkei entmilitarisiert sein müssen. Dieser Streit konnte mühevoll beigelegt werden. Die türkische Regierung agiert nicht wie ein verlässlicher Partner, sondern zunehmend unsolidarisch, autokratisch und nationalistisch. Diese Beispiele lassen sich leicht erweitern.

Die NATO darf sich ein solches Verhalten nicht gefallen lassen und muss sehr deutlich machen, dass Solidarität keine Einbahnstraße sein kann. Die NATO braucht die Türkei zwar auch in Zukunft, allerdings nicht zu jedem Preis und nicht als vorwiegend muslimische Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten mit tendenziell nationalistischem Verhalten, sondern als den westlichen Werten aufgeschlossenes muslimisches Land, das sich als solidarischer Partner der Allianz versteht. Mit Erdogan wird das nicht einfach. Die NATO darf sich aber von diesem, in Vorstellungen eines neuen Großosmanischen Reiches schwelgenden, Chauvinisten weder schlecht behandeln noch erpressen lassen. Und die Politiker der Europäischen Union sollten solches türkisches Verhalten in der NATO sehr genau beobachten und daraus folgern, dass im Zusammenhang mit Beitrittsverhandlungen jegliches Aufweichen der Kriterien schlechte Auswirkungen haben wird. Sowohl die NATO als auch die EU haben bisher schon eine Reihe schwieriger Mitglieder, die gemeinsames, solidarisches und zukunftsorientiertes Handeln erschweren und den Zusammenhalt stören.

Und nun haben 40 bei der NATO in Europa eingesetzte türkische Soldaten - vorwiegend ranghohe Offiziere - in Deutschland Asyl beantragt. Die Türkei wirft den NATO-Soldaten offenbar vor, Teil der Organisation des islamischen Predigers Gülen zu sein, die von Erdogan - unbewiesen - für den Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 verantwortlich gemacht und global als Terrororganisation betrachtet wird.

Der türkische Verteidigungsminister Isik hat Deutschland umgehend zur Ablehnung aller Asylanträge von türkischen Soldaten aufgefordert und anderenfalls mit „ernsten Folgen“ gedroht - zum Beispiel die Beendigung des Türkei-Deals. Allein wegen dieser Drohung, die auch als Erpressungsversuch gewertet werden kann, hätte der türkische Botschafter ins Außenministerium zitiert werden müssen, um ihm das Missfallen Deutschlands auszudrücken. Und NATO-Generalsekretär Stoltenberg hätte die Türkei zur Ordnung und zu partnerschaftlichem Umgang mit NATO-Partnern aufrufen müssen. Doch alle haben Angst vor dem anmaßenden Sultan vom Bosporus. Angst ist aber eine schlechte Grundlage für partnerschaftliche Zusammenarbeit!

(15.03.2017)

 

Bei Interesse am Thema lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/asylfuertuerkischesoldaten.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/unzuverlaessigetuerkei.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/natoundtuerkei.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/erdoganskrieggegendiekurden.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/sperrigernato-partner.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/nato-mitglied-tuerkei.html

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte