Hans-Heinrich Dieter

“Lügenpresse”  (14.01.2015)

 

"Lügenpresse" ist das Unwort des Jahres. Eine gute Wahl, denn eine pauschale Verunglimpfung der Medien ist nicht angebracht und wenn das Unwort verbunden wird mit "Halt die Fresse!", dann zielt das gegen die Presse-Freiheit, die es zu schützen gilt.

An der Unwort-Wahl der TU Darmstadt haben sich 1.246 Einsenderinnen und Einsender mit insgesamt 733Vorschlägen beteiligt. "Putin-Versteher" wurde 60 Mal vorgeschlagen, "Lügenpresse" lediglich 7 Mal. "Lügenpresse" ist nicht einmal unter den drei am häufigsten genannten Begriffen. Die "unabhängige Jury" aus Sprachwissenschaftlern, Journalisten und Schriftstellern hat trotzdem - Mehrheitsvorschläge arrogant missachtend - im Sinne der journalistischen Bedürfnisse entschieden.

Die Freude der Medien über das aus ihrer Sicht "klare Votum" für die Pressefreiheit ist daher verständlich, denn so wird ein wenig über Manipulationen, Diffamierungen, unzureichende Recherche, unwahre Berichterstattung und andere Verstöße gegen journalistisch-ethische Grundregeln, genannt Presskodex, hinweggeholfen. Die Pressefreiheit ist im Sinne unserer Demokratie zu schützen, die Privilegien der Journalisten, die mit der Pressefreiheit verbunden sind, bedeuten aber auch Verpflichtung, denen die Medienvertreter gerecht werden müssen, wenn sie glaubwürdig bleiben und das Vertrauen der Bürger genießen wollen.

Da kommt die Studie der TU Dresden gerade zur rechten Zeit. Ein Team um den Politikprofessor Hans Vorländer hat rund 400 PEGIDA-Teilnehmer bei den vergangenen drei Märschen durch Dresden nach ihren Motiven befragt. Das macht sicher noch keine repräsentative Studie, aber man darf froh sein, dass sich wenigstens eine kleine Gruppe offensichtlich engagierter Wissenschaftler und Demokraten um eine objektivierte Grundlage für zukünftige Beurteilungen der Umstände der neuen Montagsdemonstrationen bemüht. Das kurz gefasste Ergebnis: Der typische PEGIDA-Demonstrant ist gut ausgebildet und aus der Mittelschicht. 70 Prozent der Befragten stehen im Beruf und verdienen etwas über dem Durchschnitt. Die meisten gehen zu PEGIDA, weil sie "unzufrieden mit der Politik" und mit den Medien sind. Die meisten gehören keiner Partei an und der Islam ist ihnen nicht so wichtig. 15 Prozent der Demonstranten in Dresden kommen aus anderen Bundesländern. Die Demonstranten sind - bis auf ganz wenige mitlaufende Hooligans - nicht gewaltbereit. 

Als nach Wochen die Zahl der Demonstranten in Dresden 10.000 erreichte, waren Bundespolitiker alarmiert und haben sofort reagiert, ohne sich mit der Zielsetzung und der Zusammensetzung der Demonstrationen auseinanderzusetzen. Justizminister Maas nennt die Wahrnehmung des Demonstrationsrechtes und der Versammlungsfreiheit kurz "widerlich". Innenminister Jäger, NRW, hetzt gegen "Nazis in Nadelstreifen", um nur zwei besonders widerliche Beispiele zu nennen. Die überregionalen Medien haben auch keine Zeit für Recherche und befassen sich weder mit Inhalten der Demonstrationen noch äußern sie sich kritisch zu den pauschalen Verleumdungen, Herabsetzungen, Stigmatisierungen und Beleidigungen durch Politiker, sondern sie hetzen vielfach mit der heulenden Politiker-Wolfsmeute mit. Nur zwei von vielen Beispielen: Der STERN bezeichnet die Teilnehmer an PEDIGA-Kundgebungen denn auch pauschal: „Eine dubiose Mischung aus Rechtsextremisten, Hooligans und frustrierten und besorgten Wutbürgern ..., Menschen, die sich abgehängt und ausgegrenzt fühlen, die Angst haben, nicht mehr wahrgenommen zu werden von der Politik.“ Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG meint sogar urteilen zu müssen: „Vereint im bislang friedfertigen Hass geht es gegen alles, was den in der Masse emotional erstarkenden Kleinbürgern gegen den Strich geht. Es schüttelt einen. Denkfaule Wutbürger kompensieren ihre Abstiegsängste mittels Demonstrationen gegen Asylsuchende. Das ist beschämend.“ Was nun wirklich beschämend ist, werden die beurteilen, die pauschal beschimpft, verleumdet und mit der NAZI-Keule in die rechte Ecke geprügelt werden - und die, die mit gesundem Demokratenverstand sich darum bemühen, Bürgersorgen zu verstehen.  

Politiker, die nicht prüfen, ob Bürgersorgen berechtigt sind, sondern Propaganda verbreiten und die über "diffuse Ängste von abstiegsgefährdeten Frustbürgern" reden, weil sie mit konkreten Problemlösungen wahrscheinlich überfordert sind, verdienen kein Vertrauen und verursachen nachhaltige Unzufriedenheit mit der Politik. Journalisten, die keine eigenständige Recherche machen, die nicht klar zwischen Meinung und Bericht trennen, die deshalb ihre Aufgabe nicht neutral, fair, verantwortungsbewusst, wahrheitsgemäß sowie mit Verständnis und Augenmaß wahrnehmen, verlieren ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Bürger. Wenn Journalisten ihre Fähigkeit zur Selbstkritik stärken und sich darum bemühen, ihre Arbeit im Sinne des Pressekodex an der Wahrheit orientiert zu machen, werden sie das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen können.

Das wird dauern! Wenn Journalisten weiterhin alle "Charlie" sind und sich mit höchst beleidigenden Karrikaturen solidarisieren, wird es noch länger dauern. Bis dahin werden die Demonstranten vielleicht skandieren:"Besser werden, Pressekodex einhalten!"

(14.01.2015)

 

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