Hans-Heinrich Dieter

"Die Libyer selbst müssen Gaddafi stürzen" (22.03.2011)

 

Dieser Überschrift in einem Kommentar von Nonnenmacher in der F.A.Z. vom 22.03.2011 kann man nur zustimmen. Ansonsten stimmen die Spekulationen, Anmaßungen und Unterstellungen in vielen deutschen Medien eher traurig.

Bei Nonnenmacher heißt es auch: "Das militärische Eingreifen der westlichen „Koalition der Willigen“, mit Frankreich an der Spitze, hat den Fall der libyschen Stadt Benghasi und damit ein Massaker von Gaddafis Truppen an deren Bewohnern verhindert." Ist der Fall Benghasis wirklich verhindert? Welches "Massaker" von Gaddafis Truppen an "Bewohnern" ist bisher mit Daten und Fakten belegt?

Mit einer vielfach offensichtlichen freiheits- und demokratieeuphorischen Gefühlsduselei werden Fakten einfach negiert, verdreht oder unter den Tisch gekehrt, weil sie nicht in das Weltbild oder in den Streamline der Berichterstattung passen.

Wir sollten den Tatsachen ins Auge schauen. Die Menschen in der arabischen Welt versuchen sich zu befreien. Das verdient unsere Unterstützung aber verlangt nicht unbedingt die Beeinträchtigung der Souveränität dieser arabischen Staaten. Die Methoden der Befreiung sind in den Ländern unterschiedlich. In Ägypten und in Tunesien haben wir friedliche und erfolgreiche Revolutionen erlebt. In Libyen haben sich die Aufständischen bewaffnet und einen Bürgerkrieg mit zu verantworten. Die Aufständischen haben bewaffnet einen Teil Libyens unter ihre Kontrolle gebracht. Diese Aufständischen sind aber nicht "das Volk Libyens" sondern nur ein Teil des Volkes. Der andere Teil des libyschen Volkes sind z.B. Menschen der die Gesellschaft tragenden Mittelschicht und die Gefolgsleute Gaddafis sind nicht alle nur "Schergen", "Verbrecher", "Handlanger", "Söldner" und bezahlte Jubel-Libyer, sondern zu großen Teilen Menschen Libyens, die vor nicht allzu langer Zeit zusammen mit Gaddafi ihre Zelte in Paris und anderswo aufgeschlagen haben und herzlich willkommen waren. Diese Menschen haben sich nicht über Nacht geändert. Mit diesen Menschen werden derzeit noch Ölgeschäfte getätigt. Und zu diesen Menschen gehören auch die Angehörigen der libyschen Armee, deren Aufgabe und Ziel sicher nicht das Massakrieren von zivilen Bewohnern libyscher Städte ist, wohl aber die Niederschlagung eines bewaffneten Aufstandes. Es gibt eben in Gesellschaften unterschiedliche Perspektiven. Nicht umsonst ist eine zukünftige Teilung Libyens eine realistische, wenn auch keine erstrebenswerte Option. Eine ausgewogene gesamtgesellschaftliche Betrachtung sollte sich in fairen, sachorientierten Medien widerspiegeln - und natürlich auch die politischen Entscheidungen bestimmen.

Wir haben es mit einem Bürgerkrieg, mit einer innerstaatlichen Auseinandersetzung zu tun und diese Auseinandersetzung muss hauptsächlich innerstaatlich ausgefochten werden.

Die Weltgemeinschaft hat sich entschieden, Partei zu ergreifen und die Aufständischen in ihrem bewaffneten Kampf zu unterstützen. Es soll Leid vom libyschen Volk abgehalten werden. Diese Entscheidung ist gut, weil sie dazu beitragen kann, unschuldige Bürger zu schützen, sie ist zu respektieren und nun konsequent umzusetzen. Die Umsetzung verlangt aber den weitestgehenden Schutz der libyschen Bevölkerung im ganzheitlichen Sinn und entsprechendes Augenmaß in der Anwendung von militärischer Gewalt, jeglicher Partei. Das ist eine heikle Aufgabe, insbesondere wenn sich die westliche Welt in der muslimischen Welt engagiert.

Und dieses westliche Engagement erzeugt mehr Fragen als Antworten. Sarkozy hat innenpolitische Probleme und sich schon vorzeitig außerhalb europäischer Bemühungen in eitlen Macher-Posen gezeigt und gefallen. Er gefällt sich so sehr, dass er mit seinem Verhalten nicht nur die Glaubwürdigkeit der EU sondern auch der NATO beeinträchtigt. Die Briten sind immer dabei, wenn der Special-Ally USA im Spiel ist. Da Präsident Obama aber mehr als deutlich macht, dass er an einer Führungsrolle in diesem Konflikt nicht interessiert ist, wird Herr Cameron über kurz oder lang erhebliche politische Kopfschmerzen bekommen. Die NATO "zögert" nicht sondern ringt hart mit sich um die richtige Entscheidung. Das dieses Ringen begleitende "Gerangel" ist politisch allerdings mehr als peinlich. Aber nun sollte sich die NATO nicht in ein von Sarkozy schlecht gemachtes Bett ziehen lassen. Deswegen ist die Entscheidung, lediglich die Einhaltung des Waffenembargos mit Seestreitkräften der NATO zu überwachen, eine derzeit folgerichtige Entscheidung. Der körperlich eher kleine Sarkozy sollte die von ihm selbst massiv angestrebte Rolle als "großer Feldherr" bis zur bitteren Neige spielen. Wir alle können nur hoffen, dass mit den Militäraktionen der "Koalition der Willigen" eine tragfähige Grundlage für die Entwicklung Libyens zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung gelegt werden kann. Im libyschen Bürgerkrieg sind aber zuerst die Libyer und in zweiter Linie die Arabische Liga gefragt. Die Weltgemeinschaft kann nur eine nachrangige unterstützende Funktion haben und sollte sich nicht aufdrängen.

Nonnenmacher sagt auch richtig: "So hart es klingt: die Libyer müssen, nachdem dem Diktator von außen die militärischen Flügel gestutzt worden sind, ihre Revolution selbst zu Ende bringen. Und sie müssen, mit allen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, selbst entscheiden, wie ihr Land regiert werden soll."

Da kann man dem gesamten libyschen Volk nur Glück, Selbstbewusstsein, Kraft und zielgerichtet Gestaltungsfreude wünschen. Dazu sollten die Ziele möglichst bald formuliert und von Mehrheiten getragen werden.

(22.03.2011)

 

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