Hans-Heinrich Dieter

Libyen-Desaster   (04.08.2014)

 

Vor mehr als drei Jahren wurde der Libysche Machthaber Gaddafi in einem blutigen Bürgerkrieg gestürzt. Der Erfolg der Milizen gegen Gaddafi war allerdings nur durch die massive Luft-Unterstützung der „Rebellen“ seitens der NATO möglich, darüber hinaus durch Ausbildungsunterstützung für die Rebellen z.B. von Frankreich, Italien und Großbritannien und durch umfangreiche Waffenlieferungen von Katar und auch mehreren NATO-Mitgliedern an undefinierte Rebellengruppen ohne einheitliche legitimierte Führung - entgegen dem vom UN-Sicherheitsrat verhängten Waffenembargo. Der zu klein geratene Ersatz-Napoleon Sarkozy und Premier Cameron ließen sich in Tripolis als Sieger feiern, auch die NATO war stolz auf ihren Erfolg und die Illusionisten des Arabischen Frühlings glaubten gerne an ein schnell demokratisch erblühendes Libyen.

Im November 2013 fahren in Tripolis Panzer auf. Ein Generalstreik legt das öffentliche Leben lahm, Universitäten sind geschlossen, Milizen schießen auf demonstrierende Bürger und die Regierung ist weitestgehend machtlos. Die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg geht um. Das ist Grund genug für die EU, "sich besorgt zu zeigen" und ein sofortiges Ende der blutigen Auseinandersetzungen zu fordern. Was für ein kraftvoller - und wohl wirkungsloser - Appell!

Heute rutscht Libyen, das öl- und gasreichste Land Afrikas, in ein politisches Chaos ab. Bewaffnete Milizen, Clans, Islamisten-Gruppierungen und bewaffnete Einheiten des säkularen Lagers kämpfen gegeneinander um die Macht. Im Nationalkongress versuchten Islamisten zunächst, Libyen zu islamisieren, das ist missglückt. Im neu gewählten Ãœbergangsparlament hat das säkulare Lager eine deutliche Mehrheit, Grund genug für die islamistischen Milizen zu den Waffen zu greifen, um dem Schicksal der ägyptischen Muslimbrüder zu entgehen. Mitte Mai hat der pensionierte Generalmajor Chalifa Haftar auf eigene Faust Krieg vor allem im östlichen Bengasi gegen islamische Extremisten begonnen, der noch nicht entschieden ist. In Tripolis liefert sich wiederum die der Muslimbruderschaft nahestehende mächtige Misrata-Miliz seit mehreren Wochen Gefechte mit den einflussreichen Brigaden aus Al-Sintan um den internationalen Flughafen. Keine der Konfliktparteien ist offenbar starkgenug, sich durchzusetzen. Das ruft die islamistische Terrormiliz Islamischer Staat auf den Plan, die eine gute Möglichkeit wittert, von Libyen aus ein Kalifat im Maghreb auszurufen. Der demokratische Aufbau ist also nachhaltig gescheitert und die Lage ist nun offensichtlich so prekär, dass nach den USA und Deutschland auch Großbritannien sein Botschaftspersonal geradezu fluchtartig in Sicherheit brachte. Angesichts der zahlreichen aktuellen Krisen wird kaum „Besorgnis“ geäußert und mit Appellen hält sich auch die EU diesmal zurück, denn man könnte ja beim Wort genommen und zur Verantwortung gezogen werden.

Großbritannien hatte damals in Tripolis versprochen, auch weiterhin einer der Partner an der Seite der Libyer zu sein beim demokratischen Aufbau des Landes, für eine bessere Zukunft. Und wenn heute auch teilweise die „Falschen“ immer noch bewaffnet sind, dann ist das von den waffenliefernden westlichen Staaten Frankreich und Italien mit zu verantworten. Und auch die ehemalige „Bürgerkriegspartei“ NATO kann sich für das aufgrund ihres „Erfolges“ erst möglich gewordene Chaos nicht aus der mittelbaren Verantwortung stehlen.

Was bleibt zu tun, um eine neue skrupellose, diesmal allerdings islamistische, Diktatur zu verhindern? Ungeachtet der kaum noch überschaubaren Krisengemengelage sollte die westliche Welt den UN-Sicherheitsrat mit dem Problem befassen, eine Resolution mit einem robusten Mandat erwirken und unverzüglich beginnen, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Großbritannien könnte mit seiner kolonialen Vergangenheit und seinem unveränderten Einfluss in der Region in der Vermittlung eine Leadfunktion übernehmen. Die arabischen Nachbarstaaten sollten schon aus Eigeninteresse die Hauptlast einer Friedensmission tragen, um sowohl das Abrutschen Libyens in den Status eines „failed state“ zu verhindern, als auch das Etablieren der „IS“ im Maghreb zu verhindern. Eile ist geboten. Das Ignorieren der instabilen und gefährlichen Lage Libyens schadet auch Europa. Libyens Bevölkerung hat außerdem ein Recht auf Unterstützung durch die ehemaligen westlichen „Bürgerkriegsparteien“.

(04.08.2014)

 

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