Hans-Heinrich Dieter

Israel in 2016   (27.12.2015)

 

FĂŒr ein politisches Pulverfass wie den Nahen und Mittleren Osten sind Prognosen nur schwer zu erstellen. Man muss sich aber mit der möglichen Zukunft befassen, wenn sich die Dinge zum Besseren wenden sollen.

2015 war politisch ein schlechtes Jahr fĂŒr Israel. Netanjahu hat die amerikanische Regierung durch hinterrĂŒckse Politik im Zusammenhang mit dem Iran-Abkommen gegen sich aufgebracht und das VerhĂ€ltnis zu seinem wichtigsten VerbĂŒndeten derart beschĂ€digt, dass von PrĂ€sident Obama im letzten Jahr seiner Amtszeit keine Initiative und wirkliche UnterstĂŒtzung zu erwarten sind.

Im MĂ€rz wurde eine neue Regierung gewĂ€hlt. Netanjahu hat im Wahlkampf öffentlich gesagt, mit ihm werde es niemals einen PalĂ€stinenserstaat geben. Er hat sich ganz bewusst rassistisch gegeben und dumpfe Instinkte sowie Ängste in der israelischen Bevölkerung geweckt und mit Erfolg genutzt. Die Mehrheit der Israelis hat mit ihrer Wahl bewusst einer rechtsradikalen bis rechtsextremen Regierung zur Macht verholfen, die die völkerrechtswidrige Besiedlung des Westjordanlandes fortsetzt, die Gewalt der radikalen Siedler nicht beendet, die PalĂ€stinenser weiterhin unterdrĂŒckt und einen jĂŒdischen Apartheids-Staat anstrebt, der arabische Israelis benachteiligt sowie ausgrenzt und so fĂŒr alle objektiven Beobachter faktisch eine Zweistaatenlösung untergrĂ€bt.

Die EU-Kommission hat 2015 beschlossen, dass Kosmetika aus jĂŒdischen Siedlungen im Westjordanland in den SupermĂ€rkten und Drogerien aller 28 Mitgliedstaaten nicht mehr als „Made in Israel“ verkauft werden dĂŒrfen. Die Siedlungen als Herkunftsort sollen klar erkennbar sein. Nicht nur aus Sicht der EU ist Israel das international anerkannte Territorium in den Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg, nicht aber das besetzte Westjordanland oder die annektierten Golan-Höhen. Damit macht die EU deutlich, dass die israelische Siedlungspolitik als Verstoß gegen internationales Menschenrecht gewertet wird und dass sie Israel fĂŒr eine Zweistaatenlösung in die Pflicht nehmen will. Die mehrheitsfĂ€hige israelische Reaktion ist typisch: Netanjahu meint, die EU solle sich schĂ€men, und rechtsextremere Volksvertreter vergleichen die Kennzeichnungspflicht mit dem Boykott jĂŒdischer GeschĂ€fte in Nazi-Deutschland und werfen den EuropĂ€ern Antisemitismus vor. Das spricht fĂŒr sich.

In 2015 drehte sich die Spirale der Gewalt weiter. Es wurde schon ĂŒber die dritte Intifada spekuliert. Die neue Welle der Gewalt in Israel ĂŒberrascht aber ĂŒberhaupt nicht. Die Krise schwelt bereits seit mehr als zwei Jahren, und die VorfĂ€lle wurden immer gewalttĂ€tiger. FĂŒr die Spirale der Gewalt gibt es eine ganze Reihe von Ursachen. Erstens fehlt auf beiden Seiten der Wille zu einer politischen Initiative. Zweitens sind weder die israelische Regierung noch die politische FĂŒhrung der PalĂ€stinenser fĂ€hig und willens zu einem wirklich friedlichen Dialog. Drittens ist Israel nicht bereit, die völkerrechtswidrige und friedensverhindernde Besiedlung des Westjordanlandes zu beenden. Viertens ist Israel nicht bereit, die seit zwei Jahren andauernde Blockade des Gaza-Streifens zu lockern oder zu beenden. FĂŒnftens: Israel beeintrĂ€chtigt die Nutzung der Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem durch PalĂ€stinenser und ist nicht gewillt, die BeschrĂ€nkungen aufzuheben. Und sechstens rebelliert eine eingesperrte, hoffnungslose, perspektivlose und arbeitslose palĂ€stinensische Jugend, die die israelischen Besatzer hasst, von der PLO und Abbas enttĂ€uscht ist und von der Hamas bei ihrer sogenannten Messer-Intifada angefeuert wird. Es zeichnet sich derzeit nicht ab, dass diese Spirale gestoppt werden soll und kann. Die israelische Abschottung mit weiteren Checkpoints, verstĂ€rkten Kontrollen und intensiverer Überwachung der palĂ€stinensischen Wohngebiete wird die Ursachen der Gewalt nicht beheben und deswegen die schlimmen Angriffe nicht beenden.

Positiv war, dass die Regierungen Deutschlands und Israels im Mai 2015 mit einem großen JubilĂ€um den Beginn ihrer diplomatischen Beziehungen vor genau 50 Jahren feierten. Diese Feiern fanden allerdings in Israel wenig Resonanz, denn dort hat man offenbar eher das Interesse, die Erinnerung an die Shoah und unser diesbezĂŒgliches Trauma wachzuhalten. Aber solange sich Deutschland deswegen fĂŒrchtet, berechtigte Kritik an Israel öffentlich zu Ă€ußern und gegen die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik zu argumentieren, werden wir keinen wirklichen Beitrag zur Verbesserung der politischen Lage leisten. Deutschland verhĂ€lt sich vielmehr in hohem Maße inkonsequent und verstĂ¶ĂŸt lieber gegen seine politischen GrundsĂ€tze. Denn mit der Lieferung des fĂŒnften von sechs U-Booten in das Krisenland Israel im Spannungsgebiet Naher Osten unterstĂŒtzt Deutschland indirekt die friedensverhindernde UnterdrĂŒckung der PalĂ€stinenser und die Blockade des Gazastreifens.

Israel zeigt sich vergangenheitsorientiert und will am status quo möglichst festhalten. Solange die Amerikaner und auch die EuropĂ€ische Union - einschließlich ein souverĂ€nes und selbstbewusstes Deutschland - die israelische Regierung im Hinblick auf Friedensverhandlungen mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung nicht in die Pflicht nehmen und keinerlei Druck auf die israelische Regierung ausĂŒben, hat Netanjahu keine Veranlassung, seinen Kurs in der RealitĂ€t zu Ă€ndern - zum Nachteil Israels und der PalĂ€stinenser.

Israel isoliert sich stĂ€ndig weiter durch seine Siedlungspolitik, und das UnverstĂ€ndnis selbst der besten VerbĂŒndeten wĂ€chst. Die israelische Regierung will diese wachsende Kritik aber offensichtlich nicht wirklich ernst nehmen. Israel prĂ€sentiert sich lieber als „Opfer“ und pflegt die eigene Überzeugung, dass die ganze Welt gegen das kleine Israel und Europa vom Antisemitismus getrieben ist. Dabei ist Israel mit der UnterdrĂŒckung der PalĂ€stinenser, der völkerrechtswidrigen Besiedlung des Westjordanlandes aber auch durch Kriegsverbrechen wĂ€hrend der Gaza-Kriege lĂ€ngst selbst TĂ€ter geworden.

Die israelische Bevölkerung hat sich 2015 leider durch die Wahl einer rechtsradikalen/nationalistischen/rechtsextremen/ultraorthodoxen Regierung selbst um die Chancen fĂŒr eine positive Entwicklung in 2016 gebracht.

(27.12.2015)

 

Wenn Sie an Land und Leuten Israels interessiert sind, dann lesen Sie den Reisebericht von 2008, der noch ĂŒberraschend aktuell ist:

http://www.md-office-compact.de/Israel.htm

 

 

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