Hans-Heinrich Dieter

Gut gemeint, aber an der Realität vorbei. (11.03.2011)

 

Ein Bürger ist nach meiner Erfahrung und Überzeugung nur ein wirklich guter Staatsbürger in Uniform, wenn er Idealist und mit Leib und Seele sowie Herz und Verstand Soldat ist.

Deswegen ist es grundsätzlich richtig, wenn Verteidigungsminister de Maizière bei einem Truppenbesuch zum Thema Nachwuchswerbung sagt: "Wenn wir glauben, wir können junge Leute mit Geld in die Bundeswehr locken, dann halte ich das für falsch, und es kommen vielleicht auch die Falschen." Und er sprach in diesem Zusammenhang davon, dass es nicht nur um materielle Anreize gehen dürfe, sondern der militärische Dienst auch als eine Frage der Ehre verstanden werden müsse. Diese Einstellung freut Soldaten.

Gleichwohl gehen solche schönen Sätze doch wohl an der bundesdeutschen Realität vorbei. In unserer Gesellschaft ist das Interesse an der Bundeswehr sehr wenig ausgeprägt und, wenn es gut geht, durch "freundliches Desinteresse" gekennzeichnet. In Deutschland darf man Soldaten ungestraft "Mörder" nennen. Die Berichterstattung in den meisten Medien konzentriert sich auf Negativaspekte, auf Skandale und Fehlleistungen von Soldaten. Die Bundeswehr wird auf regionaler und kommunaler Ebene eher als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen, denn als Organisation, in der es eine Ehre ist, zu dienen. Die Teilnahme der Soldaten der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan wird durch die Mehrheit der Bevölkerung negativ beurteilt, mehrheitliche Solidarität ist von dieser Gesellschaft für Soldaten, die im Auftrag der deutschen Volksvertretung ihren Kopf hinhalten, nicht zu erwarten. Die Haltung der Gesellschaft der Bundeswehr gegenüber ist indifferent. Die Bundeswehr genießt in der Gesellschaft nicht die Anerkennung, die sie verdient.

Die sehr dürftige Zahl von 7000 Rückmeldungen junger, an sich noch wehrpflichtiger Männer auf die jüngsten 166.000 Anfragen, ob sie Interesse an freiwilligem Wehrdienst hätten, ist alarmierend und bezeichnend zugleich. Wenn der freiwillige Dienst in der Bundeswehr durch unsere jungen Bürger mit Ehre in Verbindung gebracht würde, hätten hoffentlich mehr Interesse bekundet. das mangelnde Interesse ist aber auch dadurch begründet, dass die ins Auge gefassten materiellen Anreize, wie Verpflichtungsprämien etc. gesetzlich noch nicht geregelt sind. Da warten die jungen Männer und Frauen lieber noch, bis sie genau wissen, wie ihr zukünftiger Arbeitgeber ihre Leistungen vergüten will. Wir leben nun einmal in einer materiell orientierten Gesellschaft.

In der Alltagsrealität geht es doch darum, dass die jungen Bürger aus ihrer Zeit das Beste für ihre Zukunft machen wollen. Gute Zukunftsaussichten sind aus Sicht der nachwachsenden Generation eher an qualifizierte Berufsabschlüsse, an Studienergebnisse, an Berufschancen und an die Aussicht auf eine gute materielle Grundsicherung geknüpft, die Ehre kommt dann mit dem Erfolg im Beruf oder durch gemeinnützige Tätigkeit. Als gemeinnützige Tätigkeit gilt der Dienst in der Bundeswehr wohl nicht.

Daher ist es wichtig, dass die Bundeswehr möglichen Bewerbern eine attraktive materielle Grundsicherung bietet und solche Anreize mit Aus- und Weiterbildungsangeboten verbindet. Ohne die Möglichkeit, ein Studium zu absolvieren, hätte die Bundeswehr nur sehr wenig Offiziersnachwuchs, denn das Studium ist für die überwiegende Mehrheit das Verpflichtungsmotiv. Ohne die Berufsförderung hätte die Bundeswehr nicht so viele Zeitsoldaten.

Und die Bundeswehr muss ein attraktiver Arbeitgeber werden. Dazu gehört nicht nur, dass der Nachwuchs finanziell hinreichend gut versorgt ist und sich weiterbilden kann, sondern auch, dass die Eigentümlichkeiten des militärischen Dienstes, insbesondere bei hoher Einsatzbelastung, mit Familienfreundlichkeit in Einklang gebracht werden.

Zur Attraktivität gehört aber auch, dass der militärische Dienst in den Augen der jungen Bürger Sinn macht und Zukunft hat. Um die Sinnhaftigkeit des Dienstes in der Bundeswehr zu vermitteln, muss offen und ehrlich informiert werden. Um die Zukunftsfähigkeit der Streitkräfte zu dokumentieren, muss endlich entschieden werden, was genau die Bundeswehr 2020/2030 im Rahmen der NATO und der internationalen Gemeinschaft leisten können soll, was also die "Unternehmensziele" der Bundeswehr sind. Dass die deutsche Jugend sich nur sehr widerstrebend für einen Arbeitgeber interessiert, bei dem nicht klar ist, mit welchem Ziel und sicherheitspolitischem Konzept investiert werden soll, bei dem das Sparen oberste Priorität hat und der einer Großbaustelle gleicht, bei der die Statik noch nicht endgültig berechnet ist und bei der noch nicht feststeht, wie das Gebäude am Ende funktionsfähig sein soll, ist nur zu verständlich.

Der Nachwuchs für die Bundeswehr stellt mit Recht kritische Fragen. Es ist Aufgabe der Politik, die sicherheitspolitischen Antworten zu geben. Es ist Aufgabe der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung, die konzeptionellen Grundlagen für die angestoßene Reform zu schaffen und die jetzt erforderlichen Entscheidungen zu treffen, damit das Reformvorhaben nicht zu einer kostspieligen und für alle schwer erträglichen Hängepartie wird.

Und es ist Aufgabe der Politik, durch Information, Kommunikation und nachhaltige Solidarität mit der Bundeswehr, die Anerkennung des militärischen Dienstes für Deutschland durch die Gesellschaft zu verbessern. Dann kann es irgendwann einmal durchaus als Ehre angesehen sein, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen.

(11.03.2011)

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klartext