Hans-Heinrich Dieter

Flügellahme Bundeswehr   (05.12.2015)

 

Gestern hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit entschieden, mit bis zu 1.200 Soldaten der Bundeswehr den internationalen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) zu unterstützen. Deutschland will nicht nach Syrien in den „Krieg“ ziehen, Deutschland will aufklären, schützen sowie versorgen und sich allenfalls in Notlagen selbst verteidigen können. Deutschland will wieder einmal solidarisch, bündnistreu und dabei sein, ohne dass es ein robustes Mandat der Vereinten Nationen gibt, ohne dass die Koalition gegen den IS klare Ziele und eine Strategie für ihren Krieg gegen den Terror formuliert hat und ohne dass Deutschland genau definiert hat, welche vitalen Interessen mit dem deutschen Beitrag vertreten werden sollen. Deutschland schickt seine Soldaten einmal mehr ohne strategisches Konzept in den Einsatz.

Deutschland hat für die Einsätze seiner Parlamentsarmee aber nicht nur keine strategischen Vorstellungen, sondern auch keine hinreichend einsatzfähigen Streitkräfte. Die Einschränkungen bei der Einsatzfähigkeit der Luftwaffe sind erschreckend groß. Wenn nur ein Drittel der Tornados eingesetzt werden können, die Einsatzbereitschaftslage bei den Eurofightern nicht viel besser ist und zu wenige Transall für den Versorgungsverkehr zur Verfügung stehen, dann ist das besorgniserregend. Der Marine fehlt Fachpersonal, deswegen sind einige Schiffe nicht einsatzfähig. Das Heer leidet unter dem erheblichen Mangel an einsatzwichtigem Großgerät. Für die Soldaten des Panzergrenadierbataillons 371 aus dem sächsischen Marienberg mussten zum Beispiel für den NATO-Speerspitzeneinsatz 1300 einsatzwichtige Waffen und Ausrüstungsgegenstände aus 56 anderen Verbänden ausgeliehen werden. Auch das Gefecht der verbundenen Waffen kann derzeit auf Brigadeebene nur stark eingeschränkt geführt werden. Der Sanitätsdienst ist chronisch überlastet und die Streitkräftebasis ist aufgrund der Unterstützungsverpflichtungen in allen Auslandseinsätzen überbeansprucht. Teure, leitungsfähige Munition ist in allen Teilstreitkräften nur in relativ geringen Stückzahlen verfügbar. Weitere Gründe für die eingeschränkte Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sind aber auch das Missmanagement im Rüstungs- und Beschaffungswesen sowie eine offenbar häufig unzureichende Vertragsgestaltung bei Rüstungsprojekten durch die Rechtsabteilung des Ministeriums.

Die deutsche Politik ist also wohl auch deswegen eingeschränkt risikobereit, weil sie um die eingeschränkte Einsatzfähigkeit der Streitkräfte weiß und die jahrelange Unterfinanzierung der Bundeswehr zu verantworten hat. Das Parlament hat in Zeiten der „Friedensdividende“ die Finanzierung deutscher Streitkräfte eher nach Kassenlage des Finanzministers als nach sicherheitspolitischem Bedarf zugelassen und sich dadurch an der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr mit versündigt. Damit muss Schluss gemacht werden. Die Streitkräfte dürfen nicht länger in einen ziemlich desolaten Zustand mit hohlen Strukturen und Mangelverwaltung hineingespart werden. Und wenn Deutschland außen- und sicherheitspolitisch ein ernst zu nehmender und vertrauenswürdiger Akteur in Europa und der Welt bleiben will, müssen wir uns Zug um Zug der vereinbarten jährlichen Verteidigungsinvestition von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) annähern. Der Primat der Politik ist mit Verantwortung verbunden. Die Volksvertreter sollten diese Verantwortung von der Regierung einfordern und ihr selbst gerecht werden.

Wenn das Parlament der derzeit nur eingeschränkt „wehrhaften Demokratie“ Deutschland demnächst über den Einsatz von bis zu 650 deutschen Soldaten in Mali entscheiden muss, dann sollten die Volksvertreter eingehend über langfristige deutsche Ziele und Interessen sowie unsere tatsächliche - nicht nur verbale - Bereitschaft diskutieren, uns auch dann solidarisch am weltweiten Kampf gegen das Krebsgeschwür Terrorismus zu beteiligen, wenn es gefährlich wird.

Die in sicherheitspolitischen Debatten immer deutlicher artikulierte Forderung nach strategischen Konzepten sollte den zuständigen Außenminister dazu bringen nicht nur floskelhaft über vernetzte Sicherheitspolitik zu reden und mantrahaft solche simplen Sätze zu verbreiten, dass zum Beispiel Terror „mit Bomben und Raketen allein“ nicht zu besiegen sei (welcher mündige Bürger glaubt denn solch einen Schwachsinn?), denn „das geht letztlich nur politisch.“ Steinmeier sollte lieber seiner Verantwortung dafür gerecht werden, politisch-militärische Konzepte zu formulieren, die deutlich machen, welche konkreten Ziele Deutschland jeweils politisch mit welchen Mitteln, in welcher Zeit und mit welchem Maßstab für Erfolg erreichen will und welche Rolle deutsche Streitkräfte dabei spielen sollen.

Die sicherheitspolitische Lage hat sich deutlich verändert. Deutschland muss sich der Realität stellen und schnellstmöglich die Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte verbessern.

(05.12.2015)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte