Hans-Heinrich Dieter

Einsatz von Soldaten im Inneren   (20.11.2015)

 

Angesichts der Terroranschläge von Paris und der Gefährdungslage in Europa wird einmal mehr über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren diskutiert.

Die Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit sind nicht mehr klar zu ziehen und Deutschland wird möglicherweise irgendwann Ziel eines Terroranschlages größeren Ausmaßes sein. Das Ausmaß eines solchen Anschlages kann durchaus so groß sein, dass die für die Gewährleistung der Inneren Sicherheit vorgesehenen Kräfte nicht ausreichen und die Bundeswehr Unterstützung leisten sollte. In solch gravierenden Fällen kann die Bundeswehr heute auf der Grundlage der Artikel 35 (Katastrophenhilfe) und 87a (Innerer Notstand) des Grundgesetzes – ohne Einsatz von Kriegsgerät - helfen. Die Streitkräfte haben das auch bei Katastrophen mehrfach erfolgreich unter Beweis gestellt. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist insgesamt an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft. Wenn die Bundeswehr allerdings mit Kriegsgerät und Kriegswaffen im Inneren der Bundesrepublik eingesetzt werden soll, dann muss das Grundgesetz entsprechend geändert und die Soldaten müssen für solche Einsätze ausgebildet werden.

Wenn man über den Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei nachdenkt, dann muss nicht nur die rechtliche Grundlage gegeben oder geschaffen sein, sondern man muss auch die Frage erörtern, ob die Soldaten solche Unterstützung leisten können. In den Auslandseinsätzen erfüllen Soldaten der Bundeswehr auf der Grundlage eines sogenannten „robusten Mandates“ mit Erfolg, unter Nutzung von Kriegswaffen und Kriegsgerät Aufgaben, die der Gewährleistung der Inneren Sicherheit auch bei uns in Deutschland dienen könnten. In Deutschland darf und kann die Bundeswehr zum Beispiel ein Objekt sichern, indem es zum „Militärischen Sicherheitsbereich“ erklärt wird. Dabei dürfen die Soldaten unter Anwendung des „Unmittelbarer Zwang-Gesetzes“(UZwGBw) auch Schusswaffen gebrauchen. Das ist eine einfache Lage, die problemarm zu bewältigen ist.

Kann die Bundeswehr bei Terrorgefahr aber eine vielbefahrene Brücke in Deutschland sichern? Theoretisch ja, denn die Ausbildung sieht solche Sicherungsaufgaben im Krieg vor und in den Einsatzländern beherrschen wir das Betreiben von Check-Points aus dem EffEff. Praktisch ergäben sich aber bei der Durchführung große Probleme. Auf welcher rechtlichen Grundlage kontrolliert die Bundeswehr Fahrzeuge und Personen? Welche Waffen werden eingesetzt mit welchem Ladezustand? Welchen Ausbildungsstand haben die Soldaten, welche rechtlichen Kenntnisse hat der verantwortliche Gruppenführer und welche rechtlichen Kenntnisse hat der Obergefreite oder gar der Wehrübende am Maschinengewehr? Wer also gibt wann und unter welchen Umständen den Befehl „Feuer frei!“ auf ein voll besetztes verdächtiges Fahrzeug, das den Anweisungen nicht folgt und durchzufahren droht? Der Bundeswehr-Gruppenführer an der Brücke und der Obergefreite am MG sind für andere Aufgaben unter anderen Rahmenbedingungen ausgebildet, nicht für Polizeiaufgaben in schwierigen Rechtslagen. Bis ein Polizist eine Faustfeuerwaffe im Dienst führen darf, hat er drei Jahre intensive Ausbildung, dabei profunden Rechtsunterricht, hinter sich. Deswegen ist es gefährlich, den Eindruck zu vermitteln, man könne Soldaten der Bundeswehr als „Hilfspolizisten“ einsetzen.

Ein anderes, gerne diskutiertes Beispiel für Einsatz im Inneren ist das Zeigen von Präsenz bewaffneter Soldaten in Fußgängerzonen, auf Bahnhöfen, bei Großveranstaltungen, um z. B. die Polizei zu entlasten oder Polizeikräfte zu verstärken. Erneut muss man fragen, welche Rechte solche mit Kriegswaffen eingesetzten Soldaten haben. Zunächst einmal haben solche Soldaten „Jedermann-Rechte“ wie alle anderen Bürger auch und dürfen bei Gefahr im Verzug Straftaten nur mit angemessenen Mitteln verhindern. Selbst bewaffnete Feldjäger der Bundeswehr haben beim Dienst in der Öffentlichkeit übrigens keine weitergehenden Rechte zur Gewaltanwendung. Was ist aber, wenn der Streifenführer in der gut besuchten Fußgängerzone in der Nähe des Weihnachtsmarktes unter den Rahmenbedingungen „Erhöhte Terrorgefahr“ glaubt, einen Verdächtigen zu erkennen, von dem eine Gefahr für eine kleine Menschenansammlung ausgehen könnte? Welche Qualität hat sein Ausbildungsstand, wie handlungssicher ist er also, über welche Mittel – außer dem fertig geladenen Schnellfeuergewehr – verfügt er, um gegebenenfalls einen Anschlag angemessen zu verhindern? Wie sind seine Fernmeldeverbindungen zu seinen militärischen Vorgesetzten, wie sind seine und dessen Verbindungen zu Behörden der Inneren Sicherheit, die über weiterführende Informationen und ein aktuelles Lagebild verfügen, sind die technischen Voraussetzungen für eine effektive Zusammenarbeit überhaupt gegeben und wer gibt notfalls den Befehl zum Waffeneinsatz?

An sich sind da nur zwei Möglichkeiten denkbar: entweder die militärische Streife ist deutlich und gefährlich überfordert oder sie ist zur Hilfspolizei ohne Gewaltanwendungsbefugnis degradiert. Beides darf man der Bundeswehr meines Erachtens nicht aufbürden, weil es auf viele ernste Fragen keine – gegebenenfalls noch keine – tragfähigen Antworten gibt.

Und die gesetzlichen Grundlagen für solche Einsätze werden sehr schwierig zu schaffen sein. „Rules of Engagement (RoE)“ werden für den Einsatz von Kriegsgerät im Inneren Deutschlands nicht ausreichen. Funktionierende und sichere Fernmeldeverbindungen – über das Handy hinaus – sind derzeit zwischen Bundeswehr und Institutionen der Inneren Sicherheit auf Grund der unterschiedlichen technischen Parameter nicht gegeben. Es wird also derzeit sehr theoretisch, oberflächlich und abstrakt – manchmal auch absurd – diskutiert.

„Kann“ die Bundeswehr also im Hinblick auf die Gewährleistung der Inneren Sicherheit, was manche Politiker gerne von ihr fordern würden? Sie kann es nicht, weil die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht gegeben sind, weil die Bundeswehr dafür nicht ausgerüstet und weil sie auch nicht dafür ausgebildet ist. Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit mögen nicht mehr trennscharf zu ziehen sein, Fakt ist aber, dass die dafür jeweils vorgesehenen Kräfte für ihre Hauptaufgabe ausgerüstet und ausgebildet sind. Das kann man ändern, das braucht dann aber seine Zeit und entsprechende Mittel. Wenn außerdem Kräfte der Bundeswehr alarmplanmäßig für Aufgaben der Inneren Sicherheit vorgesehen werden sollen, dann wird man zukünftig unsere Freiheit deutlich eingeschränkter „am Hindukusch“ verteidigen können. Denn wenn man Kräfte der „Äußeren Sicherheit“ so für „Innere Sicherheit“ verplant, dann hat das einen vielfältigen und nicht geringen Preis.

Die öffentliche Diskussion zeigt aber auch, dass zum Teil nicht nur im Zusammenhang mit äußerer Sicherheit sondern auch bei Fragen der inneren Sicherheit zu stark an den jeweiligen Kapazitätsgrenzen und an knappen Finanzmitteln orientiert gedacht wird. Dabei verlangt die Bewältigung neuer Gefahrenlagen mit qualitativ neuen Herausforderungen im 21. Jahrhundert, aber insbesondere die Bekämpfung des Terrorismus, eine zukunftsorientierte, qualitativ neue nationale Sicherheitsvorsorge, die nur durch eine ressortübergreifende Zusammenarbeit zu erreichen ist.

Eine solche zukunftsorientierte nationale Sicherheitsvorsorge setzt zumindest einmal voraus, dass ein gesamtstaatliches und ressortübergreifendes Sicherheitsverständnis entwickelt wird. Darüber hinaus muss auf politisch-strategischer Ebene eine gesamtstaatliche Urteils- und Handlungskompetenz zur ressortgemeinsamen Bewältigung von Sicherheitsrisiken geschaffen werden, die über ein umfassendes gemeinsames Lagebild verfügt. Hier sind positive Ansätze sichtbar.

Außerdem muss eine ressortübergreifende politisch-strategische Führungseinrichtung etabliert werden, um Krisen und Katastrophen beherrschen zu können. Ganz wichtig ist auch, dass die Führungsvorgänge und die technische Ausrüstung der zivilen und der militärischen Kräfte für die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben im Inneren kompatibel gemacht und weiterentwickelt werden, um effektive Zusammenarbeit auf operativer Ebene möglich zu machen. Insgesamt brauchen wir eine gesamtstaatliche Sicherheitsarchitektur, die dann auch mit internationalen Strukturen zusammenarbeitsfähig ist.

Es wird ein weiter, steiniger und kostspieliger Weg zu gehen sein, bis eine solche Sicherheitsarchitektur geschaffen ist. Bis die Bundeswehr die Statik dieser Architektur deutlich verbessern kann, müssen die Verfassung geändert und auch Ausführungsgesetze erlassen werden. Wichtig ist, dass der Einsatz der Bundeswehr im Inneren legitimiert ist und die Soldaten rechtliche Handlungssicherheit haben. So weit sind wir leider noch lange nicht.

(20.11.2015)

 

 

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