Hans-Heinrich Dieter

Aachener Vertrag   (27.01.2019)

 

Am 22.01.2019, 56 Jahre nach dem ÉlysĂ©e-Vertrag unterzeichnen Bundeskanzlerin Merkel und PrĂ€sident Macron in Aachen einen neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Dieser Aachener Vertrag   – oder auch ÉlysĂ©e-Vertrag 2.0 - soll die deutsch-französische Zusammenarbeit wiederbeleben und die kĂŒnftige Entwicklung der EuropĂ€ischen Union positiv beeinflussen.

Als 1963 Adenauer und de Gaulle die „Erbfeinde“ Deutschland und Frankreich mit dem ÉlysĂ©e-Vertrag freundschaftlich verbunden haben, sollten beide LĂ€nder in allen wichtigen Fragen der Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik eine enge Zusammenarbeit durch Konsultationen sicherstellen. Diese zunĂ€chst visionĂ€re Freundschaft hat sich positiv entwickelt, war zukunftsorientiert und auch wichtig fĂŒr die Gestaltung eines gemeinsamen Europas. Aber die beiden LĂ€nder haben sich inzwischen ein wenig auseinanderentwickelt, hauptsĂ€chlich wirtschaftlich aber auch durch weltanschauliche Differenzen, sodass man sogar von einer wachsenden Divergenz unserer Volkswirtschaften sprechen kann. Da ist jeder Versuch im Ansatz positiv, diese Freundschaft wieder zu beleben. Aber braucht es dazu einen neuen Vertrag, wenn doch der ÉlysĂ©e-Vertrag immer noch eine sehr tragfĂ€hige Grundlage fĂŒr eine gute Zusammenarbeit ist?

Im Kapitel 1 „EuropĂ€ische Angelegenheiten“ des Vertrages heißt es im Artikel 1: „Beide Staaten vertiefen ihre Zusammenarbeit in der Europapolitik. Sie setzen sich fĂŒr eine wirksame und starke Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein und stĂ€rken und vertiefen die Wirtschafts- und WĂ€hrungsunion. Sie bemĂŒhen sich um die Vollendung des Binnenmarkts, wirken auf eine wettbewerbsfĂ€hige, sich auf eine starke industrielle Basis stĂŒtzende Union als Grundlage fĂŒr Wohlstand hin und fördern so die wirtschaftliche, steuerliche und soziale Konvergenz sowie die Nachhaltigkeit in allen ihren Dimensionen.“ Das ist ein sehr guter alter Wein in etwas erneuerten SchlĂ€uchen!

Im Kapitel 2 „Frieden, Sicherheit und Entwicklung“ des Vertrages heißt es im Artikel 3: „Beide Staaten vertiefen ihre Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Außenpolitik, der Verteidigung, der Ă€ußeren und inneren Sicherheit und der Entwicklung und wirken zugleich auf eine StĂ€rkung der FĂ€higkeit Europas hin, eigenstĂ€ndig zu handeln. Sie konsultieren einander mit dem Ziel, gemeinsame Standpunkte bei allen wichtigen Entscheidungen festzulegen, die ihre gemeinsamen Interessen berĂŒhren, und, wann immer möglich, gemeinsam zu handeln.“ Diese Zusammenarbeit findet schon aktiv statt und bereits  im November 2016 hat die EU bei einem Außen- und Verteidigungsministertreffen das Projekt einer engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit von EU-Staaten gestartet und eine „Permanent Structured Co-operation“, kurz PESCO, aus der Taufe gehoben. DarĂŒber hinaus sind die Zusammenarbeit und die gegenseitigen Verpflichtungen der beiden NATO-Mitglieder Deutschland und Frankreich im Vertrag des Transatlantischen BĂŒndnisses verankert. NatĂŒrlich brauchen wir in der aus den Fugen geratenen globalen und europĂ€ischen Lage positive Symbole, aber wir brauchen nicht immer neue Gesetze und neue VertrĂ€ge, wir mĂŒssen die Gesetze auch in schwieriger politischer RealitĂ€t konsequent durchsetzen und VertrĂ€ge konsequent und zukunftsorientiert realisieren!

Und natĂŒrlich ist es zu begrĂŒĂŸen, wenn beide Staaten einen gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitsrat grĂŒnden wollen, das Ziel eines gemeinsamen Wirtschaftsrates verfolgen und der Bundestag zusammen mit der AssemblĂ©e Nationale ein eigenes Abkommen aushandeln, um eine Versammlung zu grĂŒnden, die aus je 50 Mitgliedern des Bundestages und der National-Versammlung besteht, um beiden Regierungen intensiv auf die Finger zu schauen. Das wĂŒrde unserer etwas ramponierten parlamentarischen Demokratie sehr guttun! Aber all das könnte auch geleistet werden auf der Grundlage des ÉlysĂ©e-Vertrages und intensiver Arbeit der regelmĂ€ĂŸigen Regierungs-Konsultationen. Und damit wĂ€re das Ziel, „die kĂŒnftige Entwicklung der EuropĂ€ischen Union positiv zu beeinflussen“, besser zu erreichen.

Das Symbol „Aachener Vertrag“ wird bei weitem nicht von allen der zukĂŒnftig noch 27 EU-Mitgliedstaaten positiv aufgenommen. Denn wenn sich die „Achse Deutschland-Frankreich“ oder selbst der heute erheblich stotternde „europĂ€ische Motor Frankreich-Deutschland“ vehement zur „Verantwortung fĂŒr Europa“ bekennt, dann fĂŒhlen sich die kleineren Mitgliedstaaten - allen voran die eher national ausgerichteten Visegrad-Staaten – bevormundet. Keiner will sich heute mehr von (den lame ducks) Merkel und Macron vorschreiben lassen, was richtig oder falsch in der Europapolitik lĂ€uft. Den 27 EU-Staaten fehlt ein tragfĂ€higer gemeinsamer Ansatz. Wer aber gegen spalterische Tendenzen und nationale AlleingĂ€nge kĂ€mpfen und zu gemeinsamen Konzepten und Lösungen kommen will, muss das mit der EU gemeinsam machen, denn die anderen 25 Mitgliedstaaten fĂŒhlen sich zu stark, um sich von Frankreich und Deutschland am kurzen ZĂŒgel reiten zu lassen. Die kĂŒnftige Entwicklung der EuropĂ€ischen Union kann nur gemeinsam positiv gestaltet werden, von einer reformierten EU mit einer handlungsfĂ€higen Kommission und von solidarischen, an den europĂ€ischen Werten orientierten Mitgliedern - Deutschland und Frankreich auf Augenhöhe mit den kleineren Mitgliedstaaten!

Und wenn es zukĂŒnftig darum geht, die europĂ€ischen Angelegenheiten zu regeln, dann ist der EuropĂ€ische Rat gefragt, in den Deutschland und Frankreich ihre guten Ideen einbringen können. Wenn es darum geht „eine wirksame und starke Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ zu entwickeln, dann muss die EU-Kommission, mit UnterstĂŒtzung von Deutschland und Frankreich und in Zusammenarbeit mit der NATO, endlich eine solche  Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik definieren, formulieren und verabschieden. Und dann sollten nicht Frankreich und Deutschland zukĂŒnftig einen stĂ€ndigen Sitz im Weltsicherheitsrat haben, sondern die EU sollte die EuropĂ€ische Union auch dort stĂ€ndig vertreten. Insbesondere nach dem Brexit ist außerdem keine vertiefte sicherheitspolitische Zusammenarbeit Frankreichs und Deutschlands in der EU gefragt, sondern deren vertiefte Zusammenarbeit in der NATO, auch bei der Vertretung europĂ€ischer Interessen.

Europa und die EuropĂ€ische Union mĂŒssen ganz neu gedacht werden, das ist von einer „deutsch-französischen Einheit“ nicht zu leisten und diese Reichweite von mehr als 30 Jahren zeigt der Aachener Vertrag nicht im Geringsten auf. FĂŒr eine Weiterentwicklung von EU und NATO wird der Aachener Vertrag also nicht gebraucht – denn dafĂŒr haben EU und NATO ihre eigenen Gremien, in denen alle MitgliedslĂ€nder vertreten sind. In diesen Gremien und um die Reformen der EU können sich Deutschland und Frankreich durch sinnvolle Initiativen verdient machen!

(27.01.2019)

 

Bei Interesse am Thema lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/eu-siponachbrexit.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/desolateeu.html

 

 

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